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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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übertragen werden soll. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, um mit ihm über sein Gedicht »Was gesagt werden muss« und über Tabus zu sprechen.
    Ich freue mich schon auf die Fahrt und hoffe, dass Günter und Ute mit mir wieder in das gemütliche Lokal gehen, das wie die Wohnstube eines dänischen Fischers aussieht, und wo wir köstlichen gebratenen Aal essen, wie letztes Mal, als ich sie mit meiner Frau Julia besuchte. Da war das Wetter klar und sonnig. Den blauen Himmel schmückten leichte Schäfchenwolken. Günter hatte auf dem langen Holztisch vor dem Haus riesige Steinpilze ausgebreitet, die er vormittags gesammelt hatte. Einige lagen auch auf dem Tisch in seiner kleinen Arbeitsstube, wo er sie malte.
    Günter Grass weiß aus eigener Erfahrung, unter welchem Baum Pilze stehen. Doch so langsam führt er jetzt seine Enkelan die geheimen Stellen, wo die größten Steinpilze stehen. Familiengeheimnisse müssen schließlich weitergegeben werden.

Neugier und Übermut
    Neugier versiegt nie. Unerschöpflich spendet sie mir Energie.
    Als Journalist bin ich neugierig, weil ich Entdeckungen, die ich aufregend finde, weitervermitteln will.
    Die Neugier im Sinn von Wissbegierde treibt mich weiter an. Ich hoffe, dass sie mir ein Perpetuum mobile sein möge. Ein wenig bin ich dem schon nahegekommen, als eine Gruppe von zwanzig Freunden Frankreichs im Jahr 2006 die Académie de Berlin gründete und mich zu ihrem – wie wir es scherzhaft nennen – »Secrétaire perpétuel« bestimmte, also zu dem, der die Arbeit macht. Präsident der Académie ist Richard von Weizsäcker, der Schirmherr der jeweilige Französische Botschafter, derzeit Maurice Gourdault-Montagne (den wir bei Dumas trafen), Mitglieder unter anderen auch Lothar Menne (den wir schon bei Marcuse trafen). Und Maurice Gourdault-Montagne führte die französische Diktion ein, von »le Perpétuel« zu sprechen, perpétuel könne auch ewig heißen.
    Die Neugier hat Menschen immer wieder zu großen Leistungen angetrieben. Aus Neugier wurde Herodot zum Geschichtsschreiber. Und für Platon war das Staunen der Anfang aller Philosophie. Mit ihnen will ich mich auf eine Stufe stellen. Aber gilt die Kraft der Neugier nicht für alle? Von Neugier getrieben habe ich vieles für mich entdeckt, das mich nachdenken ließ, und aus den Reflexionen sind Bücher entstanden. Einige über Frankreich, andere über deutsche Themen. Und schließlich auch Kriminalromane. In den Büchern über Frankreich wollte ich nicht nur darstellen, dass die Franzosen anders sind, sondern warum sie anders sind.
    In den Büchern über deutsche Themen untersuche ich Tabus oder frage nach den Gründen für gesellschaftliche Regelbrüche. Zu einem Buch wurde ich angeregt, als Bundespräsident Roman Herzog in seiner Festrede zum 3. Oktober sagte, es gebe zwar die Identität eines einzelnen Menschen, aber keine kollektive Identität. Das hat mich verwirrt, denn der französische Historiker Fernand Braudel hatte sein dreibändiges Alterswerk »L’Identité de la France« genannt, und ich hatte viel daraus gelernt. Aus dem Nachdenken über diesen deutsch-französischen Widerspruch entstand das Buch »Deutschland auf Bewährung« – Überlegungen zur deutschen Identität, die es sehr wohl gibt.
    Einige meiner Bücher haben auch andere angeregt, am meisten wohl »Der Ehrliche ist der Dumme – Vom Verlust der Werte«. Zwei Jahre nach Erscheinen dieses Buches bat mich Helmut Schmidt zu einem Gespräch. Ich fühlte mich geehrt. Er hatte das Buch gelesen, den Titel als etwas reißerisch kritisiert, mich dann aber zwei Stunden lang präzise befragt, weil er sich überlegte, ein Buch über Politik und Moral zu schreiben. Und Helmut Schmidt ist mir mit seinen über neunzig Jahren Beweis für die ewige Wirkung von Neugier.
    Vom Übermut spüre ich inzwischen weniger. Vielleicht weil ich erfahren habe, dass man gar nicht übermütig sein muss, selten sogar mutig, wenn man auf Entdeckungsreise geht. Es reicht schon, keine Angst zu haben. Und mit Übermut meine ich auch nicht Leichtfertigkeit oder gar Tollkühnheit, die ja einst von den griechischen Göttern bestraft wurden, etwa wenn man wie Ikarus mit Flügeln versehen der Sonne zu nahe kommt. Was Übermut sein kann, habe ich wahrscheinlich von meinem Vater gelernt, der als junger Student in den USA den Kontinent als Hobo auf Eisenbahnzügen trampend bis nach San Francisco bereiste. Und von dort auf einem Schiff nach Japan und China.
    Übermut ist mir

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