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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meira Pentermann
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sich, schuf aber somit einen Sicherheitsabstand zwischen dem Ford und der blauen Limousine links von sich. Ein wunderbar großzügiger Sicherheitsabstand, der so viel Platz bot, dass sich sogar zwei Chrysler problemlos einordnen konnten, ohne dabei zusammenzustoßen.
    Unglücklicherweise bemerkte genau in dem Moment, als Mrs. Richardsons Reifen die weiße Linie berührten, der Fahrer des gelben Sportwagens ganz links auf der Spur die großzügige Lücke, die Leonard mit seinem geschickten Bremsmanöver geschaffen hatte, und wechselte plötzlich zwei Spuren auf einmal. Der gelbe Wagen streifte das Heck der blauen Limousine und – genau wie vor einunddreißig Jahren, vier Monaten und drei Tagen – das Auto der Familie Richardson kam ins Schleudern.
    Leonard schnappte nach Luft als die Bilder verschwanden und sich vor seinen Augen wieder die Betonwand aufbaute.
    „Nein“, schrie er, immer noch nicht imstande zu glauben, was er da gerade gesehen hatte. „Nein!“
    Er drehte das Lenkrad hin und her und versuchte vergebens, die Autobahn wieder erscheinen zu lassen. Eine Leiterplatte an der Decke fing Feuer und eine Rauchschwade breitete sich in dem kleinen Raum aus. Leonard riss den Helm von seinem Kopf, zog die Hände aus den Handschuhen und schlug auf das Lenkrad ein.
    „Nein, nein, nein.“
    Zunder tropfte von der brennenden Schaltplatte und fiel auf seine Hand. Es zischte und der Gestank von verbranntem Fleisch und Haaren vermischte sich mit dem Geruch verglühender Elektrogeräte. Leonard bewegte sich nicht. Er starrte in die Leere des kleinen Raums, sein Blick teilnahmslos. Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt liefen ihm Tränen das Gesicht hinunter.
    Neun Zehntel einer Sekunde hatten gar nichts verändert. Neun Zehntel einer Sekunde waren nur kleine Schachfiguren, die der kosmischen Laune des Schicksals ausgesetzt waren. Leonard hatte sein Leben für neun Zehntel einer Sekunde geopfert, die absolut keinen Unterschied machten.

Kapitel Zwei

     
    Schließlich trieb die giftige Luft Leonard aus seinem Gefängnis heraus. Er nahm den Feuerlöscher und entlud ihn in den Wandschrank, so als ob er mit einer Maschinenpistole auf ein abscheuliches Raubtier losgehen würde. Leonard schlug die Tür zu und trat mit voller Wucht dagegen. Unglücklicherweise gab die stabile Tür nicht nach und er schrie vor Schmerzen auf. Es war ein robustes Haus aus Holz und Backstein und diente der Familie Tramer während Leonards Kindheit und seinem frühen Erwachsenenalter als Zuhause. Als seine Eltern in ein Seniorenwohnheim nach Florida zogen, erbte er das Haus. Es hätte für ihn nicht besser laufen können. Weil er immer in dem Haus blieb, konnte er die Maschine in seinem Schlafzimmerwandschrank konstruieren und umbauen, so oft er wollte. Er hätte nie umziehen können, zumindest nicht bis zu seiner niederschmetternden Reise in die Vergangenheit. Was mach ich jetzt nur? In einem Moment überwältigender Trauer erkannte Leonard, dass er, wenn er die Zeitmaschine außen vor ließ, keine Träume hatte. Nun, da ihm die Sinnlosigkeit und Bedeutungslosigkeit seiner fixen Idee offensichtlich war, erstickte ihn die Leere, die plötzlich in ihm herrschte.
    Er sah auf und taumelte vor Schreck einen Schritt zurück. Sein Arbeitszimmer sah völlig anders aus als zu dem Zeitpunkt, zu dem er den Wandschrank betreten hatte. So aufgeräumt und elegant wie es war, schien es das Zuhause eines völlig Anderen zu sein. Kein mit Lötzinn bedeckter Schreibtisch in der Ecke. Stattdessen stand in der Mitte einer Wand ein fein säuberlich gemachtes Doppelbett mit geblümter Tagesdecke darüber und an den Seiten des Bettes befanden sich Nachttische aus Eichenholz. Leonard lehnte den Feuerlöscher gegen die Wand und öffnete vorsichtig die Tür des Wandschranks. Es war kein Rauch mehr zu sehen, stattdessen befanden sich Dutzende von Hemden, gebügelten Hosen und Kleider im Schrank. Kleider? Er schlug die Tür wieder zu und trat einige Schritte zurück. Dann betrachtete er die Wände. Ein Gemälde von Renoir hing an jener Stelle, an der sich zuvor zwei Avalanche–Hockeyschläger befunden hatten. Seltsamerweise hing das impressionistische Gemälde über der Kommode aus Leonards Kindheit. Es ergab keinen Sinn. Der Nachttischwecker zeigte 17:13 an. Unmöglich. Das muss ein Traum sein.
    Ein Traum. Leonard hatte sich nach all diesen Jahren feindlicher Albträume nun endlich einen friedlichen Traum verdient. Er öffnete die Tür und ging in den Flur. Dort erwartete

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