Wanja und die wilden Hunde
Vorwort
Dies sollte ein Buch werden über ein Rudel von zehn russischen Hunden und wie diese – mit nur geringem menschlichem Einfluss auf ihr Verhalten – ihrer Natur entsprechend zusammenlebten.
Ein Buch über sechsundachtzig russische Bauern, die im hohen Alter und abgeschnitten vom Rest der Welt in einem Dorf wohnen – und welche Formen sie fanden, um dort gemeinsam zu überleben.
Ich wollte das Buch mit leichter Hand schreiben, so leicht, wie meine Erinnerungen an das Hunderudel und das russische Dorf gewesen waren, die ich seit vielen Jahren in mir getragen und bei Bedarf hervorgeholt hatte wie eine Sauerstoffmaske bei Smog.
Als ich zu schreiben begann, mit leichter Hand und großer Freude, begegneten mir plötzlich Gespenster, mit denen ich nicht (mehr) gerechnet hatte. Ich schob sie beiseite, denn meiner Meinung nach gehörten sie nicht in ein Buch über Hunde und Bauern.
Doch sie kamen wieder.
Ich vermutete, ihr Auftauchen hinge mit meinem Umzug in ein Haus am Waldrand zusammen und damit, dass ich mich noch fremd fühlte an diesem Ort.
Ich kaufte mir für den Garten eine kleine mongolische Jurte aus Filz, die wunderbar nach Schafwolle roch und in der mich wieder jenes Gefühl von Einfachheit und Natürlichkeit überkam, das mich an den Schauplatz des Buches erinnerte. Tatsächlich gelang es mir in dieser »Höhle« mit dem Schreiben fortzufahren.
Dann begann es zu regnen. Tage. Wochen. Die Jurte faulte. Meine Schreibhöhle stank und musste abgebaut werden. Ich fühlte mich obdachlos – auf emotionaler Ebene. Ich versuchte, in meinem neuen Haus weiterzuschreiben. Die Gespenster kamen verstärkt zu Besuch. Erinnerungsfetzen. Bilder. Gefühle, die mich wie aus dem Nichts überfielen.
Nach zwei Wochen begann ich, die inzwischen getrocknete Jurte wieder aufzubauen. Kurze Zeit später lebten Fliegenvölker darin, die ihre Eier im Filz ablegten. Ich sprühte meine Höhle mit Gift ein. Nach einer Woche wagte ich es wieder, die Jurte zu betreten, und schrieb weiter.
Ein Unglücksfall geschah. Ein Unglücksfall mit Todesfolge.
Der Verlust meines Gefährten sprengte etwas in mir. Meine Fassade, mein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, gingen zu Bruch. Erst jetzt begann ich, MEIN Buch zu schreiben. Die Gespenster, die mich aufsuchten, fanden nun Platz darin. Als ich anfing, ihnen die Hand zu reichen, wurden sie freundlicher und ließen auch alles andere mit in das Buch hinein – Unbeschwertheit, Freude, Fülle, Humor und Liebe. So ist es nun nicht nur eine Geschichte über Hunde und Bauern geworden, sondern auch ein Buch darüber, wie diese mich zurück ins Leben brachten.
Das Buch ist aufgebaut nach fünf Jahreszeiten. Ich habe mich dafür entschieden, weil mein ganzes Leben nach diesem Muster verlief. Immer wieder begann, lebte, verging und endete etwas, um Neuem Platz zu machen, das überhaupt erst auf dem Boden des Alten entstehen konnte. Es wäre mir ganz unmöglich gewesen, mit einem Winter zu enden, denn nur der Glaube an die Wiederkehr des Frühlings lässt mich leben.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Eintauchen in eine Einfachheit, die das Kostbarste war, was ich in meinem Leben erfahren durfte.
Ihre Maike Maja Nowak
Prolog – Wie ich nach Lipowka kam
Für viele Menschen in Ostdeutschland und Russland diente das Genre des Liedermachens dem emotionalen und geistigen Überleben. Die Säle waren voll, und oft musste ich Doppelvorstellungen geben, weil niemand ohne Karten nach Hause ging.
Meine Zeit als Liedermacherin begann 1981 mit den »Kieselsteinen«, meiner ersten Gruppe, setzte sich fort in einem Duoprogramm mit Norbert Bischoff und dann in Soloprogrammen, bei denen ich von dem Pianisten Rolf Hammermüller begleitet wurde oder mich selbst auf der Gitarre begleitete. Nach der Wende gab es ein letztes Aufleben mit meiner Gruppe »Herzsprünge«. Als wir darüber zu sprechen begannen, was dem Publikum gefallen könnte (in der Hoffnung, wir könnten so dem einsetzenden Publikumsschwund entgegenwirken), wusste ich, dass es vorbei war. In diesem Beruf war es für mich immer darum gegangen, Menschen einen ganz neuen Blickwinkel auf bekannte Dinge anzubieten, und nicht darum, mir zu überlegen, was ihnen gefallen könnte.
Durch die Belanglosigkeit des Überflusses, der plötzlich herrschte, und das Ausbleiben neuer Herausforderungen gelangte ich 1990 schließlich an einen emotionalen Tiefpunkt.
In dieser Phase meines Lebens erzählte mir eine Bekannte von zwei Russinnen, die ein
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