Nibelungen 02 - Das Drachenlied
der Krieger wurden lauter. Eilig machte er sich daran, den Stein vom Seil zu schneiden. Dann knotete er das Ende um den Eimergriff und gab den Kriegern zu verstehen, sie sollten ihn vorsichtig hinaufziehen.
Aller Augen waren auf den Eimer gerichtet, der jetzt langsam und pendelnd nach oben schwebte.
Das war genau die Ablenkung, auf die Alberich gewartet hatte. Eilig machte er sich daran, das Seil, das sie ihm um Brust und Schultern geschlungen hatten, zu zerschneiden. Es ging viel schwerer, als er gehofft hatte, denn der Strick war dicker und fester gedreht als jener, der den Eimer trug. Jeden Moment konnten sie bemerken, was er tat. Sie würden ihn aus dem Becken zerren, bevor er sich gänzlich befreien konnte. Wenn er Pech hatte, würde das Seil gerade dann reißen, wenn er frei in der Luft hing.
Der Eimer hatte die Felskante fast erreicht, als das Unvermeidliche geschah.
»Zieht den kleinen Bastard hoch!« schrie einer. »Er zerschneidet den Strick!«
Sogleich straffte sich die Schlaufe um Alberichs Körper. Noch immer hielt das Seil, war etwa bis zur Hälfte durchgesägt. Der Ruck zerrte den Zwerg quer durch das Drachenblut, bis er von oben bis unten damit bedeckt war. Sein Kopf prallte gegen die Brüstung, doch immer noch schnitt er tiefer und tiefer ins Seil. Seine Schultern glitten an den Balken empor, als die Seilwinde sich unaufhaltsam drehte und ihn nach oben zog. Schon blickte er über den Rand hinweg in den Abgrund, wieder schwindelte ihm – und da endlich riß das Seil. Peitschend lösten sich die Schlaufen, schnitten heiß in seine Haut. Mit einem Klatschen fiel er zurück ins Becken. Die Seilenden tanzten wie zappelnde Schlangen über dem Abgrund.
Der Eimer hingegen gelangte nach oben und wurde über die Kante gehoben. Alberich hörte, wie der Geweihte Befehle schrie, konnte sie aber nicht verstehen.
Beinahe gleichzeitig ging ein Pfeilhagel auf das Becken nieder, doch keines der Geschosse kam ihm näher als zwei Schritte. Die Krieger hatten beträchtliche Mühe mit dem Zielen, während sie mit dem Oberkörper über der Kante hingen. Daß sie dabei ihr Leben ihren Kameraden anvertrauen mußten, die sie an den Beinen festhielten, war ihrem Geschick nicht eben zuträglich.
Alberich ging hinter der Brüstung in Deckung, blutbesudelt von den Zehen bis zur Nasenspitze. Ein wahnwitziger Gedanke durchfuhr ihn: War er jetzt unverletzlich? Hatte er bereits die gleiche Panzerhaut, wie Siegfried sie angeblich sein eigen nannte?
Er war versucht, die Dolchspitze gegen sich selbst zu richten und es einfach auszuprobieren, als er bemerkte, daß die Bogenschützen ihre sinnlosen Mühen aufgegeben hatten. Statt dessen wurde ein einzelner Krieger an einem Seil heruntergelassen, bewaffnet mit Schwert und Dolch und einer Axt im Gürtel.
Alberich erhob sich und wurde sich gleichzeitig bewußt, daß er eine furchterregende Erscheinung abgeben mußte. Das Blut war bereits so zäh geworden, daß es sich wie eine dunkelrote Haut um ihn legte. Für den Krieger mußte es aussehen, als habe das Drachenblut selbst Form angenommen, das Zerrbild eines Menschen. Trotzdem schwirrte er näher und näher, begann bereits hin und her zu schaukeln, um den Beckenrand zu fassen zu bekommen.
Alberich war unbewaffnet bis auf den Dolch, und der mochte ihm kaum eine Hilfe sein. Aber er hatte einen besseren Einfall.
Ungeduldig wartete er, bis der Krieger sich auf seiner Höhe befand und dem Becken gefährlich nahe kam. Beim nächsten Schwung mußte er es erreichen.
Da packte Alberich mit beiden Händen den Stein, den er vom Seil geschnitten hatte, stemmte ihn so schnell er konnte in die Höhe und schleuderte ihn dem heranschwingenden Krieger entgegen.
Er hätte gar nicht besser zielen können. Der Stein krachte im selben Moment in die entsetzte Grimasse des Kriegers, als er Alberichs Absicht erkannte, zerschmetterte sein Gesicht und stürzte in die Tiefe. Zuckend pendelte der Krieger hin und her, verlor Schwert und Dolch und war schließlich nicht mehr als lebloser Ballast am Ende des Seiles.
Alberich achtete nicht auf die Drohungen und Verwünschungen von oben.
Statt dessen nahm er endlich in Angriff, was er die ganze Zeit über vorgehabt hatte.
Er zerstörte das Becken.
Geist lag flach im Heidekraut und beobachtete, wie der Geweihte den Bluteimer entgegennahm. Ihre Haut hatte die braungrüne Farbe des Untergrunds angenommen, und sie preßte sich eng in die niedrigen Büsche; so hoffte sie, unbemerkt zu bleiben. Zumal
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