Nibelungen 09 - Der Zwergenkrieg
hüstelte betont, zwei andere flüsterten grinsend miteinander. Was, bei allen Göttern, ging hier vor?
Gellir legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Gehen wir?«
Mit einem letzten Blick auf die Zurückbleibenden – bemüht, ihre Augen nicht auf Styrmir ruhen zu lassen – wandte Grimma sich um und kroch mit einem verächtlichen Schnauben an die Spitze des Spähtrupps. Gebückt huschten sie am inneren Rand der Arenamauer entlang. Ein Rundweg, etwa zehn Schritte breit, führte wie ein Wehrgang um das ganze Theater. Die Ränge waren wie die ganze Stadt von gewaltigen Felsbrocken übersät, dennoch glaubte Grimma, daß sich in der Arena keine Feinde verbargen. Solange sich ihr Trupp an der Innenkante der Ummauerung aufhielt, war er von der Stadt aus nicht zu sehen.
Ein Trümmerstück, so groß wie Thorhâls Thronsaal, hatte eine tiefe Kerbe in die äußere Wand gerissen, einen V-förmigen Einschnitt, der fast bis zum Boden herabreichte, mindestens zwanzig Schritte tief. Hier kletterten sie im Schutz von Geröll und Mauerresten nach unten und erreichten nach einer Weile ebene Erde. Der Vorplatz des Amphitheaters war zu einem Labyrinth aus Spalten geworden, die sich weit zwischen den herabgefallenen Felsbrocken verzweigten. Grimma ärgerte sich über sich selbst; sie hätte von oben einen Weg durch diesen Irrgarten auskundschaften müssen. Nun aber standen sie vor turmhohen Felsflanken und mußten sich allein auf ihr Gespür für die richtige Richtung verlassen.
Der Weg war mühsam und führte nur an wenigen Stellen über den gepflasterten Boden des Vorplatzes. Die meiste Zeit über kletterten sie grobkantige Schrägen hinauf und hinunter, und Eis und Schnee vervielfachten die Erschwernisse. Oft verlor einer von ihnen der Halt und riß einige der anderen mit sich. Als sie endlich die ersten Häuserruinen erreichten, war keiner unter ihnen, der nicht zahllose blaue Flecken, Schürfwunden und Prellungen davongetragen hatte.
Aus der Nähe erkannte Grimma, daß die meisten Gebäude von der herabgestürzten Höhlendecke zerschmettert worden waren. Vielfach standen noch einige der Außenmauern, aber im Inneren stießen die Zwerge auf Gesteinsbrocken, die nicht nur die Dächer, sondern auch die Zwischenböden durchschlagen hatten. Grimma hielt Ausschau nach Leichen, doch im Grunde war ihr klar, daß sie keine finden würde. Die Katastrophe, die das alte Zwergenreich vernichtet hatte, lag viele Jahrhunderte zurück, und das rauhe Wetter des Nordlandes mußte jede Spur seiner Bewohner verwischt haben. Selbst wenn es noch irgendwo Knochen oder Kleiderreste geben sollte, lagen sie unter meterhohem Stein und Schnee begraben.
Der Wind, der durch die schmalen Freiräume zwischen Mauern und Felstrümmern wehte, verursachte sonderbare Geräusche, so als sei die ganze Alptraumlandschaft von einem bedrohlichen Flüstern erfüllt. Die Zwerge wurden mit jedem Schritt vorsichtiger, und Grimma war darauf bedacht, zu jeder Zeit persönlich an der Spitze des Trupps zu gehen. Mehrmals fuhr einer oder auch alle von ihnen herum, wenn sie glaubten, Stimmen oder Schritte zu hören, doch jedesmal erwiesen sich die Laute als Hirngespinst oder als das geisterhafte Pfeifen der Winterwinde.
Unter all den Trümmerbergen und Eismassen war es schwierig, sich das ursprüngliche Bild der Zwergenstadt vorzustellen. Die Arena schien einst der Mittelpunkt der riesigen Anlage gewesen zu sein. Gassen führten von dort aus sternförmig in alle Richtungen und waren untereinander durch weitere Schneisen und Durchgänge verbunden. Aus der Luft mußten die Wege ein Muster bilden, das einem Spinnenetz sehr ähnlich war. Die Gebäude hatten ein bis zwei Stockwerke, zudem gab es Reste einiger Aussichtstürme, von denen nur noch ein einziger aufrecht stand. Wie durch ein Wunder hatte ihn der Gesteinregen unversehrt gelassen.
Die gleißende Nordlandsonne näherte sich bereits dem Rand der zerschrundeten Felswände, als Grimma den Männern die Erlaubnis gab zu rasten. Sie alle waren erschöpft, manche von Stürzen leicht verletzt, und obwohl sie nach Grimmas Einschätzung etwa ein Drittel der Stadt grob ausgekundschaftet hatten, fühlte sie sich schutzlos und unsicher. Als Anführerin durfte sie ihre Gefühle keinem ihrer Gefährten offenbaren, und so tat sie gelassen und versuchte zugleich, den anderen Mut zuzusprechen. Sie fand selbst, daß sie dabei reichlich unbeholfen vorging, und sie kam sich unehrlich vor. Dennoch hatte sie bald das Gefühl, daß sich die
Weitere Kostenlose Bücher