Nibelungen 09 - Der Zwergenkrieg
Hund und schlug die Hände vors Gesicht. Seine Waffe hatte er längst verloren, sie war gemeinsam mit seinem Verstand auf der Strecke geblieben. Einen Herzschlag lang erwog Grimma, ihn am Leben zu lassen, dann aber erinnerte sie sich an Styrmirs fahles Gesicht, das mit leeren Augen von der Wasseroberfläche in die Tiefe starrte, als suche er dort nach einem besonders schönen Fisch. Die Axt schien in ihrer Hand vor Erregung zu vibrieren. Der Zwerg am Boden konnte sie nicht sehen, zuckte nur zusammen, als die Doppelklinge seine Seite aufriß. Das Leben entwich wie Wasser aus einem leckgeschlagenen Schlauch, und seine Glieder zitterten noch, als der Tod längst an seiner Seite stand.
Grimma verharrte über dem Leichnam und fragte sich mit grotesker Sachlichkeit, weshalb ihr Herz plötzlich in ihren Ohren zu schlagen schien statt in ihrer Brust – da, sie konnte es doch ganz genau hören, ein dumpfes Klopfen, so schnell, daß es fast zu einem einzigen, langgestreckten Ton verschmolz. Sie blickte auf den Toten herab, ohne ihn wirklich zu sehen, als sei er unsichtbar wie sie selbst und mit ihm der Tunnelboden und alles, was darunter lag. Sie schaute geradewegs hinab zum glühenden Kern der Welt, ein gleißendes Licht, das ihr aus der Tiefe entgegenflammte und mit feurigen Armen nach ihr zu greifen schien. Sie mußte davor davonlaufen, jetzt gleich, so schnell sie nur konnte, weiter nach Süden, dem Ende ihrer Mission entgegen.
Dem Ende entgegen, dachte sie noch einmal, und der Gedanke erfüllte sie mit neuer, ungewohnter Ruhe.
KAPITEL 6
rimma und ihr Trupp marschierten eilig wie der Wind, der durch den Tunnel streifte, und endlich, nach vielen, vielen Monden, kehrten sie zurück zum Hohlen Berg.« Alberich breitete in einer pompösen Geste die Arme aus, als wollte er selbst die Heimkehrer in die Arme schließen. »Die Krieger wurden unter großem Jubel empfangen, und König Thorhâl begrüßte Grimma wie seine eigene Schwester. Fest schloß er sie in seine Arme und dankte ihr für all die Mühen und Entbehrungen, die sie für das Volk der Zwerge auf sich genommen hatte. Grimma berichtete ihrerseits, was sie und ihre Männer im Nordland vorgefunden hatten. Stolz gab sie Kunde vom Kampf gegen die verhaßten Nordlinge, und wie es gelungen war, ihnen in der Ruinenstadt den Garaus zu machen. Thorhâl ernannte die Helden, die an Grimmas Seite gekämpft hatten, zu Heerführern, und Grimma selbst sollte fortan seine engste Beraterin sein. Nie zuvor war einer Kriegerin solche Ehre zuteil geworden.«
Mütterchen hatte Mühe, Alberich länger zuzuhören. Nicht, weil er sie langweilte. Der wahre Grund war, daß sie den Boden der Horthalle fast erreicht hatten. Nur noch wenige Stufen, dann würden sie die Oberfläche des Schatzes betreten können. Mütterchens Herzschlag raste beim Anblick des Goldes, und ihre Knie zitterten leicht. Das Räuberblut floß heiß wie eh und je in ihren Adern, und obgleich sie die Wegelagerei seit vielen Jahren aufgegeben hatte und mancher sie für eine Greisin halten mochte (wobei er sich besser hüten sollte, dergleichen auszusprechen), konnte sie ihre alten Instinkte nicht unterdrücken. Am liebsten hätte sie sich sämtliche Taschen mit den Reichtümern der Nibelungen vollgestopft.
Löwenzahn ging Ähnliches durch den Kopf, das sah sie ihm an. Seine schmalen Hunnenaugen waren starr auf die goldene Landschaft gerichtet; sie hatten den Blick einer Katze, die sich im nächsten Moment in totem Fisch wälzen würde.
Allein Geist hatte ihre Sinne ganz auf Alberichs Erzählung gerichtet. Gespannt hatte sie den Berichten von Grimmas Heldentaten gelauscht, und jetzt wollte sie auch den Schluß der Geschichte hören. »Wie ging es weiter, Alberich? Zogen die Zwerge wirklich ins Nordland?«
»O ja, das taten sie. Schon bald nach Grimmas Rückkehr begannen die Vorbereitungen, und wenige Wochen später nahmen Thorhâl und sein Volk Abschied vom Hohlen Berg. Sie verließen das Reich ihrer Väter durch den Zugang zur alten Zwergenstraße und ließen die Hallen und Kammern ihrer Heimat hinter sich. Doch kaum einem war dabei schwer ums Herz, denn alle wußten, daß sie im Norden etwas Besseres erwartete: die Freiheit vor allem, aber auch die Möglichkeit, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Grimma marschiert mit Thorhâl an der Spitze des Zuges, und obgleich niemals eine Nachricht aus dem Nordland gen Süden drang, glaube ich doch, daß sie in späteren Jahren selbst den Thron des
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