Nibelungengold 02 - Das Drachenlied
Löwenzahn, kühlte seine Schwellungen mit Wasser aus einem Napf, der in der Ecke stand, und betete insgeheim, daß sich seine Wunden nicht entzünden würden. Er selbst ließ sich kaum anmerken, welche Schmerzen ihn quälten. Er sprach klar, fast vergnügt, und er ließ sich nicht davon abhalten, ein weiteres Mal an dem Gitter zu rütteln, in der vergeblichen Hoffnung, es aus der Verankerung zu brechen. Danach saßen sie beide schweigend in der Ecke, dachten über diese und jene Fluchtmöglichkeit nach, nur um sie dann wieder zu verwerfen.
Durch das Gitter drang der Lärm vom Innenhof herein, das unermüdliche Klatschen der Peitschen auf Sklavenrücken, die Schmerzensschreie und groben Befehle. Spitzhacken krachten in den Tiefen der Schächte, und immer wieder wurden die Männer dort unten mit Wasser begossen. Mütterchen hatte längst aufgehört, sich über den Sinn Gedanken zu machen. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie nah daran, alle Hoffnung fahren zu lassen. Sie fühlte sich leer und nutzlos, und das Eindringen des Geweihten in ihren Geist hatte eine merkwürdige, unsichtbare Wunde in ihr hinterlassen. Nie in ihrem Leben hatte sie sich so gedemütigt, so hintergangen gefühlt.
Einige Stunden mochten vergangen sein, als ein weiteres Mal Gestalten vor der Gittertür erschienen. Im Gegenlicht der Feuerbecken waren es nur Silhouetten, zwei an der Zahl. Dennoch bereitete es keine Schwierigkeiten, die kleine fette Gestalt des Grafen Ugo zu erkennen. An seiner Seite führte er, an einer rasselnden Kette wie einen Hund, das Mädchen Marret. Sie schluchzte leise, folgte dem Fetten aber fügsam und treu.
Ugo, der von nahem kleiner und jünger wirkte als oben am Fenster, trug sein Nachtgewand. Einstmals war es wohl weiß gewesen, doch jetzt war der Stoff beschmutzt von Flecken alle Art, von Essensresten bis zu Körpersäften. Sein Gestank überlagerte sogar die fauligen Gerüche des Kerkers.
Wortlos, wenn auch leise vor sich hin kichernd, zog er einen großen Schlüssel hervor und steckte ihn in das Vorhängeschloß. Ehe er ihn drehen konnte, fiel Marret plötzlich auf die nackten Knie.
»Bitte, Herr Graf, laßt mich bei Euch bleiben. Ich war immer gut zu Euch und will es auch weiterhin sein.«
»Gut?« keifte der Fette. Mehrere Krieger drehten sich draußen auf dem Hof nach ihm um, verloren aber schnell ihre Neugier. Keiner kam näher. »Gut willst du gewesen sein? Ein Stück Fleisch bist du, rohes, grobgehauenes Fleisch. Dein Leiden bereitet mir kaum noch Freude.«
Marret mißverstand ihn. »Dann wollt Ihr bald schon freundlich zu mir sein, Herr Graf? Kein Leiden mehr? Werden wir wieder Freunde sein wie früher?« Und dann sang sie mit tränenerstickter Stimme:
Petersilje Suppenkraut
Wächst in unserm Garten.
Unser Annchen ist die Braut,
Soll nicht lang mehr warten.
Roter Wein, weißer Wein,
Morgen soll die Hochzeit sein.
Ugo holte mit seinem dicken, kurzen Bein aus und trat ihr mit aller Kraft in die Seite. Marret fiel in den Schmutz, krümmte sich keuchend zusammen. Der fette Junge setzt nach, trat ihr in den Magen und riß sie dann an den Haaren nach oben. Sie wehrte sich nicht, weinte nur bitterlich.
»Jetzt flennst du wieder, Miststück. Ich habe auch geweint in meinem Gefängnis, viele, viele Nächte lang. Aber hast du mich rausgelassen? Hast du mir geholfen?«
Marret brabbelte irgendeine Antwort. Das einzige, was Mütterchen verstehen konnte, war das unvermeidliche »gut zu Euch«.
Mütterchen unterdrückte mit aller Macht den Wunsch, dem widerwärtigen Kerl an die Kehle zu gehen. Das Gitter schützte ihn sicherer als jede Kriegereskorte.
Dabei wurde ihr zum ersten Mal bewußt, daß Ugo gar keine Krieger bei sich hatte. Konnte es sein, daß der Geweihte gar nicht wußte, daß seine Marionette auf eigene Faust hierhergekommen war?
Ganz langsam, unter aller gebotenen Ruhe, näherte sie sich der Gittertür. Der Schlüssel steckte noch immer im Schloß.
»Miststück! Miststück!« wetterte Ugo weiter und hatte dabei den Rücken zum Gitter gewandt. Mit wedelnden Armen blickte er auf Marret herab, die immer noch vor ihm im Dreck lag. »Rohes Fleisch bist du. Rohes, unbehauenes Fleisch. Mich ekelt davor, dich zu berühren.« Plötzlich stand er nur noch auf einem Bein und hatte alle Mühe, sein Gleichgewicht zu halten. »Siehst du? Mein Fuß, mit dem ich dich trat, er schmerzt vor Ekel! O wie er schmerzt!«
Mütterchen war bis auf zwei Schritte an die Gittertür herangekommen und
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