Nibelungengold 02 - Das Drachenlied
Antwort geben, als er plötzlich sagte: »Ich bin auf eigenen Wunsch hier.«
»Ihr sucht Vergeltung?« Dieser Gedanke schien Löwenzahn versöhnlicher zu stimmen. Vergeltung und Rache waren Worte, die sein Kriegerherz höher schlagen ließen.
»Ihr mögt es so nennen«, gab Hagen unbestimmt zurück.
Löwenzahn grunzte zufrieden, während Mütterchen den Ritter ohne rechtes Vertrauen beobachtete. Es gefiel ihr nicht, daß Hagen es bei derart vagen Andeutungen beließ. Sie fragte sich, ob seine wahren Ziele den ihren nicht entgegenstanden.
Er hinkte, wenn auch nicht allzu offensichtlich, und sie wunderte sich, daß ihm die Verletzung keine Sorge bereitete. Der Geweihte war noch lange nicht besiegt, und das Schlimmste mochte ihnen noch bevorstehen. Mit einem lahmen Bein war selbst Hagen von Tronje dem Ansturm mehrere Drachenkrieger nicht gewachsen.
Wo mag nur Alberich stecken? dachte sie besorgt. Sie konnte nicht glauben, daß er den Kriegern zum Opfer gefallen war. Der Zwerg war zäh und kräftig, und trotz aller Wunderlichkeiten besaß er einen wachen Verstand.
Einen Augenblick lang erwog sie, Hagen von Alberich zu erzählen, verwarf den Gedanken aber wieder. Sie hätte kaum etwas Dümmeres tun können, als einem geheimnisvollen Fremden, der sich als Berater des Königs ausgab, von einem unermeßlichen Goldschatz zu berichten. Noch dazu, wo auch dem König ein solcher Hort kaum ungelegen käme.
Sie wandte sich abermals an den schweigsamen Ritter. »Ihr habt gesagt, der Geweihte habe Ugos Reichtümer benötigt, um damit seine Krieger zu entlohnen. Wofür aber braucht er all diese Männer?«
»Sie bewachen für ihn den Drachen.«
»Dann ist auch er hinter dem Blut her?«
Hagens eines Auge verengte sich zu einem Schlitz. »So wie Ihr?«
»Ich dachte dabei eher an Euch«, gab Mütterchen zurück.
Der Ritter sah sie mit aufrichtigem Erstaunen an. »Ihr glaubt, es ginge mir um das Blut?«
»Um was sonst?«
Er schnaubte verächtlich. »Ich werde Euch keinen Tropfen Eures kostbaren Drachenblutes streitig machen, Mütterchen Mitternacht.«
Löwenzahn grinste zufrieden. »Dann sind wir uns ja einig.«
Einig? dachte Mütterchen. Nie und nimmer. Aber sie wagte nicht, tiefer in den Ritter zu dringen. Sie wollte seine Begleitung nicht aufs Spiel setzen; selbst verwundet mochte er sich noch als brauchbarer Beschützer erweisen.
»Seht doch!« Löwenzahn blieb wie angewurzelt stehen.
Auch Mütterchen und Hagen verharrten. Das Pony beendete widerwillig seinen Trott und wieherte leise an Mütterchens Ohr.
Vor ihnen huschte etwas in wildem Zickzack auf sie zu, ein dunkler Schemen, der in rasender Eile näher kam.
»Ein Zauber des Geweihten!« rief Mütterchen aufgeregt.
Hagen sprang mit dem Schwert in der Hand vor, breitbeinig versperrte er den Weg. Er schien die Magie seines Feindes nicht zu fürchten.
Zehn Schritte vor ihnen verharrte der Schemen. Seine Form war die eines Menschen. Aber was war mit seiner Haut geschehen?
»Mütterchen! Löwenzahn!« rief eine helle Stimme. Sie gehörte einem jungen Mädchen. »Fürchtet Euch nicht vor mir!«
Hagen blieb ganz ruhig. »Ein Moosfräulein«, sagte er leise, als fürchtete er, es mit seiner Stimme zu verscheuchen.
Mütterchen atmete tief durch. »Ich habe seit Jahrzehnten keines mehr gesehen.«
Der Ritter nickte unmerklich. »Es hieß, sie seien ausgestorben.«
Das Mädchen kam langsam auf sie zu. Es hatte die Farbe des Waldes, ein schlieriges Grün und Braun, das sich laufend zu wandeln schien. Nur die Augen glänzten in beständigem Blau. Der nackte Chamäleonkörper war mager, fast knochig.
»Seht mich bitte nicht so an«, sagte das Moosfräulein scheu.
Mütterchen glaubte erst, es schäme sich seiner Nacktheit. Doch das Mädchen machte keine Anstalten, seine Hände schützend auf Brüste oder Scham zu legen, auch nicht, als es näherkam. Und da begriff sie: Es schämte sich nicht seiner Blößen, sondern dessen, was es war.
Das Mädchen räusperte sich verlegen. »Ich bringe schlimme Nachricht von Eurem Freund Alberich.«
Hagen fuhr herum und starrte Mütterchen in plötzlichem Begreifen an. »Alberich?« fragte er lauernd. »Der Horthüter?«
Die Melodie wurde klarer, erkennbarer. Sie schwebte durch Alberichs Kopf wie ein Seidenschleier, den der Wind durch ein Fenster in die Nacht hinausträgt. Ganz leicht, ganz locker. Es war keine Melodie wie die Sänger sie spielten, kein Klang von dieser Welt. Man hätte keine Worte dazu reimen können, und
Weitere Kostenlose Bücher