Nibelungengold 02 - Das Drachenlied
gebracht.
Löwenzahn aber hatte es sehr wohl verstanden und polterte los: »Nichts, dem Ihr Euch entgegenstellt, müßte uns Grund zum Fürchten geben!«
Hagen schenkte ihm keine Beachtung und wandte sich statt dessen an Mütterchen. »Der Geweihte ist nicht einfach irgendein Räuberhauptmann, wie Ihr sie von früher kennen mögt.«
Sie nickte bitter. »Habt Ihr es deshalb für nötig gehalten, soviele Unschuldige in den Tod zu schicken?«
Der Ritter blickte ihr kalt in die Augen. »Es war nötig.«
»Was war es überhaupt, das der Geweihte dort oben im Turm tat? Wozu die ganzen Sklaven?«
»Nichts als Maskerade.«
»Maskerade?« Der Grimm im schmalen Gesicht des Ritters schien ihr so verzehrend, so angsteinflößend, daß sie vor ihm zurückschrak. Der Hagen, der sich von ihr hatte überzeugen lassen, mit ihnen gemeinsam zu reisen, schien ein anderer gewesen zu sein, einer, der es sich für einen winzigen Augenblick gestattet hatte, der Welt mit einem Lächeln zu begegnen. Dieser hier aber – finster, verschlossen und ganz unnahbar – war eine bedrohliche Erscheinung.
»Selbst ein Mann wie der Geweihte ist auf bare Münze angewiesen, um seine Männer im Zaum zu halten. Außerdem wollte er den Turm.«
Mütterchen war anzusehen, daß sie noch immer nicht verstand, auf was er hinaus wollte.
»Der Geweihte hat den Grafen aus seinem Gefängnis befreit, damit Ugo ihm den Turm überläßt«, fuhr Hagen fort. »Keine andere Festung liegt so nah bei der Drachenheide. Zugleich aber hat er Sklaven an Ugo verkauft.«
Löwenzahn bemühte sich eifrig, sein Interesse an den Worten des Ritters nicht einzugestehen. Er schaute gewichtig hinter jeden Baum und betonte seine Wachsamkeit, doch in Wahrheit hielt er sich immer nahe genug bei den anderen auf, um ihrem Gespräch zu folgen.
»Wieso hätte Ugo Sklaven von ihm kaufen sollen?« fragte Mütterchen. »Ich nahm an, die armen Menschen stünden unter der Aufsicht des Geweihten.«
»Er hat Ugo weisgemacht, der Felsenkamm, auf dem der Turm steht, sei der Rücken eines schlummernden Drachen. Im Volksmund wurde das lange schon behauptet, doch niemand glaubt wirklich daran. Ugo aber ließ sich mit leichter Hand davon überzeugen. Der Geweihte behauptete, wenn es gelänge, durch Bohrungen zur Feuerader des Drachen vorzustoßen, dann sei Ugo im Besitz einer ewigen Flamme, eines Feuers, das heißer und heller brennt als jedes andere auf der Welt. Um Schächte zu dieser angeblichen Feuerader zu treiben, mußten Menschen herbeigeschafft werden, immer mehr und mehr von ihnen, auch um die Arbeiter in der Tiefe vor der Hitze des schlummernden Drachen zu bewahren. Deshalb das Wasser, deshalb die Eimerkette.«
»In Wahrheit aber gab es gar keine Hitze.«
»Natürlich nicht. Ebensowenig wie eine Feuerader oder den schlafenden Drachen. Es war alles nur ein gigantisches Gaukelspiel, um Ugo dazu zu bewegen, seine Schatzkammer zu leeren im Austausch für die Sklaven, die die Männer des Geweihten ihm zuführten.«
»Warum hat der Geweihte die Schatzkammer nicht kurzerhand ausgeraubt? Warum so viel Mühe?«
»Um den Vorgängen den Anschein von Recht und Ordnung zu geben. König Dankrat wußte, was hier geschah, aber er konnte nicht einschreiten, solange der Geweihte nicht gegen die Gesetze verstieß. Und genaugenommen hat er das nicht getan. Ugos Befreiung war in gewisser Weise rechtmäßig – schließlich wurde er von der eigenen Familie gefangengehalten –, und seine Entscheidung, den Geweihten für seine Dienste zu bezahlen, blieb ihm freigestellt.«
»Und die Sklaven?«
»Flößer und Händler von außerhalb des Königreichs, die das Burgundenland auf dem Rhein passierten. Der Geweihte hat sich nicht an Bürgern des Reiches vergriffen.«
»Ich mag Räuberin sein«, erboste sich Mütterchen, »dennoch bin ich eine Bürgerin des Königreichs. Und der Geweihte hat sich an mir vergriffen.«
»Er hat Euch nicht versklavt. Außerdem, Ihr sagt es selbst – Ihr seid Räuberin. Eine Geächtete. Wieviel mag dem König wohl an jemandem wie Euch liegen?«
Sauertöpfisch verzichtete sie auf eine Erwiderung.
Da fragte Löwenzahn: »Was führt Euch hierher, Ritter?«
»Ich bin ein Berater des Königs.«
»Der König schickt seine Berater auf Räuberjagd? Allein?« fragte Mütterchen mißtrauisch. »Noch dazu, wo der Geweihte offenbar gegen kein Gesetz verstoßen hat, wie Ihr uns eben weismachen wolltet.«
Hagen schwieg eine Weile, und schon sah es aus, als würde er darauf keine
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