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Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Titel: Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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wie sie unter anderen die Bischöfe Otto Dibelius (Berlin) und Hans Joachim Fraenkel (Görlitz) oder der Studentenpfarrer Siegfried Schmutzler in Leipzig vertreten hatten. Sicher gab es Kapitulanten, sicher gab es inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit, die an diesem Prozess mitwirkten. Entscheidend aber war, dass die Mehrheit der Christen in der DDR Minimalkonsens und Mindestloyalität als rational geboten ansah. Sie verhielten sich wie die Entspannungspolitiker: Der friedliche Ausgleich gewann gegen die kontroverse Auseinandersetzung.
    Diese Haltung ebenso wie die spätere Phase der Entspannungspolitik hat ihre eigene Problematik, die ich an einem Zyklus von Vacláv Havel deutlich machen will: »Ich erinnere mich noch, wie zu Beginn der 1970er Jahre einige meiner westdeutschen Freunde und Kollegen mir auswichen aus Furcht, dass sie durch einen wie auch immer gearteten Kontakt zu mir, den die hiesige Regierung nicht gerade liebte (…), die zerbrechlichen Fundamente der aufkeimenden Entspannung bedrohen könnten.«
    Nicht seiner möglichen Kränkung wegen spricht Havel dieses Thema an, sondern wegen der Anpassung dieser Personen. »Nicht ich war es, sondern sie, die freiwillig auf ihre Freiheit verzichteten.«
    In der Zeit zwischen 1968 und 1980 hatte ich selbst diese Position des »Realismus« übernommen. Der Antikommunismus, den mein Umfeld vertreten hatte und der in der DDR und in anderen Ostblockländern aus einer Fülle von Lebenserfahrungen und Leiden erwachsen war, hatte sich schrittweise verwandelt. An die Stelle der Delegitimierung des Systems war der Wunsch nach einem konstruktiven Dialog und einer zwar kritischen, aber aus taktischen Gründen solidarischen Haltung gegenüber dem real existierenden System getreten.
    Bei Beibehaltung der prinzipiellen Ablehnung, so glaubte ich damals, wären die Möglichkeiten kirchlichen Handelns stärker gefährdet. Der Fünfunddreißigjährige wollte nicht Anhänger einer Ideologie aus Zeiten des Kalten Krieges bleiben. Es erschien ihm eher erfolgversprechend, die Ideologie von ihrem eigenen Ansatz her in Frage zu stellen – so wie Robert Havemann und Ernst Bloch es taten. Außerdem verfolgten nach 1968 zahlreiche westliche Intellektuelle und zunehmend auch Vertreter der evangelischen Kirche einen kapitalismuskritischen Kurs und hingen verschiedenen sozialistischen Ideen an. Das »Prinzip Hoffnung« bot evangelischen Christen die Möglichkeit, den Sozialismus positiv zu rezipieren. Ohne die real existierende Herrschaft in Ostdeutschland zu exkulpieren, wollten viele Christen in der DDR mit der fortschrittlichen Linken des Westens die Zukunft eher nichtkapitalistisch imaginieren. Der erwartete Vorteil für jene, die aus taktischer oder auch tatsächlicher Loyalität ihre Haltung änderten, blieb jedoch aus: Die Staatsmacht verweigerte jeden echten Dialog mit der Kirche.
    Im Rückblick erscheint mir der Verlust, den die Taktik des friedlichen Ausgleichs mit sich brachte, höher als der Gewinn. In dem Maße, in dem die Debatten ausschließlich um philosophische und ideologische Probleme, also um Fragen des Überbaus, kreisten, gerieten die politische Praxis mit ihren Menschenrechtsverletzungen und das grundsätzliche Legitimationsdefizit der SED-Herrschaft aus dem Blick. Ich war zwar verbunden mit den »fortschrittlichen« Milieus im Westen, deren Meinung ich schätzte, aber ich bezahlte dies mit einem Verlust an Wahrnehmung, Moral und Handlungsfähigkeit. Die Gehorsamsforderungen des Staates, die Militarisierung der Gesellschaft, die ökologischen Desaster, die Kriminalisierung von Ausreisewilligen, die Zersetzungsstrategien der Stasi gegen Oppositionelle verschafften der Wirklichkeit zwar Ende der 1970er Jahre wieder den ihr gebührenden Platz in meinem Denken. Doch in den Gemeinden diskutierten wir noch bis 1988 häufiger über den Rassismus in der Dritten Welt und die Ungerechtigkeiten des Weltwirtschaftssystems als über die Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land. In vollem Umfang ist mir dies erst nach 1989 deutlich geworden. Und so bleiben Fragen.
    Warum habe ich grundlegendes, durch eigene Erfahrung erworbenes Wissen durch fremde, primär »linke« Analysen aus dem Westen ersetzt? Einerseits besaß ich Literatur, die meine kritische Position untermauerte: Werke von Manès Sperber, Alexander Solschenizyn, Wolf Biermann und andere verbotene Schriften standen in meinem Bücherschrank. Andererseits habe ich Bücher nicht gelesen, die meine emotionale

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