Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht die Welt (German Edition)

Nicht die Welt (German Edition)

Titel: Nicht die Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Krepinsky
Vom Netzwerk:
mehreren Filzdecken umhüllte er sich und schloss die Augen. Eine Zeit lang konnte er in der Stille noch sein Atmen hören, bis er auch das nicht mehr wahrnahm.
     
    Ein Knarren riss ihn aus dem Schlaf. Waren es Geräusche aus dem Treppenhaus oder aus dem Flur? Schritte? Kamen sie näher? Aufhalten konnte er nicht, was auf ihn zukam. Er war machtlos. Die Schritte kamen näher, bis sie ganz nah zu sein schienen. Ein schweres Atmen war zu hören. Er wagte es nicht, die Augen zu öffnen, presste die Lippen zusammen und faltete die Hände auf der Brust. »Ihr Dämonen der Nacht, ihr Dämonen meiner Seele, lasst ab von mir, lasst mich zufrieden. Was wollt ihr von mir? Was wollt ihr von einem armen, kleinen Diener?«, schrie er heraus.
    »Wir wissen, was dich quält, was dir den Schlaf raubt. Deshalb sind wir hier: dich zu holen, deine Schuld zu begleichen«, antworteten die Dämonen.
    »Nein, ihr könnt es nicht wissen. Mein Gewissen ist rein, ich habe nichts verbrochen, ich bin ein guter Mensch«, sagte der alte Mann. Etwas berührte seine Hand. Er hielt den Atem an. »Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Lasst mich hier liegen, ihr Todesengel der Nacht, gebt mir noch etwas Zeit, nur noch ein wenig Zeit. Mehr brauche ich nicht.«

2.
    70 Meter. Das war also das Ende. Kein Halt mehr. Kein Boden mehr unter den Füßen. Das Leben auf den Kopf gestellt. Aber wie es schien, sollte es ein schneller und gnädiger Tod werden. Schnell und unerwartet. Den Tod fürchtete der junge Mann nicht. Er wollte nicht sterben, wenn es aber unbedingt sein musste, war diese Art die richtige. Was er fürchtete, war das langsame Sterben, die unwürdige Krankheit, das Siechtum. Es ist noch nicht an der Zeit gewesen, dachte er. Er hatte seinen Auftrag noch nicht ausgeführt, hatte sein Leben noch nicht gelebt. Er hatte sich noch zu jung gefühlt, eine eigene Familie zu gründen, noch nicht reif genug. Ich bekomme noch genug Zeit, dachte er. Doch jetzt, ganz schnell, war ihm jegliche Entscheidung aus den Händen genommen worden. Aber er spürte keinen Zorn. Es war ein Blick zurück in Dankbarkeit. Dankbarkeit für dieses Leben. Sein Leben. Stets hatte er sein Bestes gegeben, manchmal wie von einer unsichtbaren Macht geführt, fast willenlos. Und schließlich gab es noch sie. Er war ihr zum ersten Mal begegnet, als er die Stadt betrat. Noch einmal wollte er sich diese Bilder in die Erinnerung zurückrufen, darüber nachdenken. Dafür blieb ihm noch genügend Zeit. Ein Universum voller Zeit.
     
    Alles begann in der Ostkaserne, als er in einen großen Lastwagen einstieg. Seine Reise hatte er gut vorbereitet, wollte den Gefahren möglichst gut gewappnet sein. Ein Rucksack mit Kompressen und Verbänden, Antibiotika und weiteren Tabletten gehörte deshalb zu seiner Ausrüstung. Wichtig waren ihm vor allem die Schmerztabletten. Er hasste Schmerzen und konnte sie nicht lange ertragen. Außerdem ließ er zuvor einige Impfungen über sich ergehen, um Infektionen vorzubeugen. Die Nahrung, die er im Rucksack bei sich trug, reichte für zwei Tage. Es war einfaches, in Folie eingeschweißtes Essen. Neben mehreren Fläschchen Schnaps hatte er drei Liter Wasser mitgenommen, die wahrscheinlich nur für einen Tag reichten, denn es war Spätsommer und die Tage in der Stadt konnten noch sehr heiß werden. Zur Verteidigung trug er einen längeren Elektrostock bei sich, mit dem man einen Angreifer kurzfristig lähmen konnte. Am vorderen Ende war dieser mit feinen Härchen versehen, welche Kleidung oder Ähnliches durchdringen konnten. Die Ausrüstung hatte er sich von dem Geld gekauft, das er von seinem Auftraggeber als Vorauszahlung erhalten hatte. Den Rest trug er bei sich. Würde er erfolgreich sein, bekäme er so viel Geld, dass er, seine Eltern und Geschwister in Neustadt ein sorgloses Leben führen könnten. Um seinen Auftrag möglichst schnell zu erledigen, hatte er in Gedanken immer wieder verschiedene Wege in der Stadt zurückgelegt, die ihn zu seinem Ziel führen und ihm später die Rückkehr ermöglichen sollten. Leider zeigte die Karte, die ihm zur Verfügung stand, noch den Zustand vor dem Unglück. Pläne des Sperrgebiets nach der Katastrophe gab es hingegen nicht. Da sich die Angaben über den Zustand der Stadt in Neuwelt häufig widersprachen, schenkte er ihnen keinerlei Beachtung. Angebliche Augenzeugenberichte entpuppten sich bei genauer Begutachtung als reine Erfindungen. Letztlich kannte er lediglich sein Ziel: das Innenministerium im Herzen der

Weitere Kostenlose Bücher