Nicht ohne Beruf (German Edition)
sie sich wie ein Kind: „Es ist wie Weihnachten!“
Sie ist so dankbar für alles! Wenn ich komme strahlt sie. So, wie das Leben sie gebeutelt hat, wäre es auch verständlich, wenn sie verbittert wäre.
Dann wiederum berichtet sie, dass sie gespürt habe, wie wieder ein richtiger Ba tzen Kraft von ihr abgefallen sei. Aber sie bereitet sich noch immer ihr Frühstück mit Quark, Haferflocken und Leinöl.
„Nun läuft allmählich die Uhr ab. Bald gehe ich zu Mama“, vermutet sie.
Diese Aussichten haben für sie schon nichts Erschreckendes mehr.
Gut, dass es Telefon gibt! Täglich meldet sie sich nach dem Aufstehen. Unterdessen halten wir es beide nicht für selbstverständlich, dass sie noch jeden neuen Tag begrüßen kann.
Auch mit Tanja erfolgt so manches Schwätzchen. Und über die schönen bunten Ornamente an ihren Fensterscheiben, die Tanjas Mädchen für sie gebastelt haben, freut sie sich fast täglich. Wehe, die Putzfrau geht beim Fensterputzen nicht achtsam mit den kleinen Kunstwerken um.
Einer der Höhepunkte jede Woche ist sonntags das Canasta-Spiel! Da läuft Leni zu Höchstformen auf und freut sich, dass es im Kopf noch tadellos läuft. Da sie selbst nicht mehr zu den anderen Damen fahren kann, kommt die Vierer-Runde nun stets bei ihr zusammen. Jede alte Dame hat ihre speziellen Leiden und, bringt ihren eigenen Kuchen mit. Mutti richtet den Kaffeetisch und füllt die Kaffeekanne.
Welch ein D rama, wenn Canasta ausfallen muss, weil eine die Grippe hat oder unter dem berüchtigten Münchner Föhn leidet!
Ins Haus verbannt, liest sie auch wieder Bücher. Doch macht sich der Graue Star immer stärker bemerkbar. Wir wollen ihm in diesem Jahr die Flügel stutzten!
Ende Mai: Unsere kleine Romi wird immer weniger, sie ist nur noch Haut und Knochen, wie die hungernden Gestalten aus Flüchtlingslagern. Selbst am Gesäß fehlt das nötige Polster, und so tut ihr auch schon das lange Sitzen weh.
Aber sie lässt sich nicht gehen: Sie wäscht sich gründlich, zieht sich täglich an, pflegt ihre Blumen und isst und trinkt.
Trotzdem erweckt es den Eindruck, die N atur habe es so eingerichtet, dass man schließlich Lust zum Sterben bekommt!
Ich bin jeden Tag dankbar, dass Mutti keine Demenz hat. Ein Bekannter wird von seiner Mutter schon seit Jahren nicht mehr erkannt. Das stelle ich mir grausam vor.
Selbst so rüstige Seniorinnen wie ich haben ja auch hin und wieder gesundheitl iche Probleme und fallen aus. Dann sucht man vergebens Unterstützung für alte Damen.
Als ich nach einer Operation über die Di akonie um Hilfe bat, kam schließlich eine Frau. Auf die Frage, ob sie denn auch den Müll mit runternehmen würde oder die Blumenkästen auf die Brüstung heben könnte, meinte sie, dass sie dafür nicht da sei. Ihre Aufgabe bestünde darin, alte Menschen aus ihrer Isolation zu holen.
Der Teufel soll sie holen - mit und ohne Isolation!
Nun bäckt Romi, wenn sie gut drauf ist, hin und wieder einen Kuchen für die jungen Männer im Erdgeschoss ihres Hauses, die dafür helfen, wenn es mal sein muss.
Es funktioniert, glaube ich, nur auf priv ater Initiative. Man muss sich mit freundlich gesinnten Menschen umgeben und die bei Laune halten. Schade, dass die Zivis weggefallen sind. Eine Bekannte überlegte letzthin, wie das dann wohl mal mit uns später werden soll, wenn doch die Kinder so weit weg wohnen.
An so etwas denke ich aber noch nicht.
„Das kriegen wir später, das ist noch nicht dran!"
Mit Mutti bin ich im Juni schwer beim Renovieren: Als wir dachten, Zahnarzt ist abgehakt, da drückte etwas im Unterkiefer. Mutti meinte, da müsse etwas abgeschliffen werden. Andererseits hatte sie aber ein „abgefallenes Stückchen“ unterm Gebiss beim Zähneputzen gefunden. Das entpuppte sich nach gründlicher Untersuchung als ein Stück Cashew-Kern.
Beim Akustiker waren wir auch schon.
Im Herzzentrum wurde der „Marathon“-Schrittmacher überprüft.
Nun rücken wir auch endlich dem grauen Star auf die trübe Linse, damit Mutti sehenden Auges dem Tot ins knöcherne Antlitz blicken kann! In einer ambulanten Augenklinik am Marienplatz soll die Linse mit Laser durch einen Glaskörper ersetzt werden. Dann kann Leni wieder lesen ohne Lupe und doppelte Brille!
Um mit unserer Romi zu den Voruntersuchungen in die Praxis in der Innenstadt zu kommen, hole ich sie mit meinem Auto ab, Rollator in den Kofferraum. Weiches Kissen nicht vergessen! Wir ignorieren alle
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