nichts als die wahrheit
Lauffeuer verbreitet. Früher war er um Lilly beneidet worden. Heute wurde er ihretwegen verlacht.
Die lieben Kollegen übersahen dabei nur, daß sie ihr genauso auf den Leim gegangen waren. Der kleine Mehmet, das Hakenkreuz, das Rechtsradikale angeblich der behinderten Sara in die Wange geritzt hatten – alle hatten die dramatischen Geschichten mit dem human touch geliebt. Und alles war erstunken und erlogen. Nur die Geschichte von Burschi, dem Grenzerhund, war authentisch gewesen. Soweit man wußte.
Schließlich schlitzte er es doch auf, das dicke Kuvert. Den Begleitbrief legte er gleich beiseite – die Schrift war genauso unleserlich wie die auf dem Briefumschlag. Auch der Absender, ein gewisser Manfred Ewald, sagte ihm nichts. Seine schlimmsten Ahnungen bestätigte die Tatsache, daß dem Brief ein weiterer Umschlag beilag. Ungeduldig riß er auch den auf. Ein Manuskript, was sonst. Unwillig überflog er die erste Seite. Ein Journalist, der so lange wie er seinen Beruf erlebte und erlitt, wußte schon nach zehn Zeilen, ob er Talent oder Mist vor sich hatte.
»Schmutziges Geld« – schon mal daneben, der Titel. Untertitel: »Abgeordnete im Sumpf der Vergangenheit« – auch ziemlich blöd. Aber nach drei Zeilen war Sonnemann hellwach. Das erste Mal las er das Manuskript im Schnelldurchgang. Nach der letzten Seite legte er es aus der Hand, lehnte sich in seinen Schreibtischsessel zurück und atmete tief durch. Dann begann er wieder von vorn, langsamer diesmal.
S CHMUTZIGES G ELD .
A BGEORDNETE IM S UMPF DER V ERGANGENHEIT .
V ON ***
Das neue Berlin muß leben. Das neue Berlin muß wachsen. Was ihm im Wege steht, muß weichen.
So etwa muß Alexander Bunge sich das gedacht haben, als er sich zum Vorsitzenden des Ältestenausschusses der Baukommission des Bundestags wählen ließ. Noch nicht einmal der Vergangenheit gestand er Ansprüche zu. Er ließ sie, wenn es not tat, zubetonieren. Und es tat not – öfter, als wir jemals erfahren werden. Was macht man, wenn man während der Ausschachtungsarbeiten im historischen Boden Berlins auf Zeugen der Vergangenheit stößt? Man räumt sie weg, man begräbt sie unter Beton. Unter der Ägide Bunges rollten die Bulldozer und Betontransporter ohn’ Unterlaß. Wann immer die Bagger Fundamente der alten Bebauung oder Teile der Bunkeranlagen der Nazis freilegten, ließ er nicht den Denkmalschutz, sondern den Betonmischer kommen.
Und Peter Zettel, einen Journalisten vom »Journal«, der sich schon bald unentbehrlich machen sollte. Peter Zettel bereinigte den Boden. Er räumte die Fundstellen von allem, was sich dort noch befinden mochte: von Skeletten und Uniformteilen, von Helmen und Koppeln, von Abzeichen und Orden. Sogar drei Kisten Jahrgangschampagner, Veuve Cliquot 1942, will er dort unten gefunden haben.
Sein größtes Interesse aber galt explosiverem Material. Nach uns vorliegenden Informationen hat Zettel insgesamt etwa 7000 Kilo Waffen und Munition fortschaffen lassen. Das meiste ging an Devotionalienhändler, aber auch in die Neonaziszene, wo sich manch einer bei Parties mit einer verrosteten Panzerfaust fotografieren ließ. Zettel bot seine Ware auch im Internet an. Vor Freunden, die er schon mal mitnahm in den Bunker, prahlte er damit, Hitlers Selbstmordwaffe auf der Spur zu sein. Die Walther PPK, Kaliber 7,65 Millimeter, mit der sich der »Führer« am 30. April 1945 erschoß, wäre heute drei Millionen Dollar wert. Selbst Alexander Bunge muß irgendwann Angst vor der eigenen Courage und vor der kriminellen Energie seines Kompagnons bekommen haben. Peter Zettel servierte ihn auf seine Weise ab: mit einer Denunziation in seinem Blatt. Daraufhin stürzte sich der Abgeordnete zu Tode. Das konnte Zettel nur recht sein. Bunges Nachfolgerin war eine Frau, die er gut kannte – Anne Burau, Geliebte schon zu Bonner Tagen.
Er konnte sie in Berlin nicht mehr begrüßen. Ob er bei seinen Expeditionen in die stinkenden Grüfte der Nazis von selbst in einen schlammgefüllten Krater stürzte – oder ob er gestoßen wurde: Man wird es nie erfahren. Auch nicht, ob er die angebliche Selbstmordwaffe Hitlers wirklich besaß.
Sonnemann schluckte. Die Story war druckreif. Nur in einem Punkt hätte er sie korrigiert: Nur der Mörder oder Mitwisser konnte wissen, wann Peter Zettel starb. Dann las er weiter.
Anne Burau versuchte, die Arbeit Bunges und Zettels auf eigene Weise weiterzuführen. Als ein unbestechlicher Journalist der Sache auf die Spur kam, wurde er
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