nichts als die wahrheit
der Glotze – oder in der Kneipe.
Sie mochte keine Hunde, vor allem keine großen, keine mit blutunterlaufenen Augen und sabbernden Lefzen, keine, die mit gesenktem Kopf und leise knurrend auf sie zukamen und sie beschnüffelten. Sie hielt sich ihre große lederne Schultertasche mit beiden Händen vor die Brust, bereit, sie dem Tier gegebenenfalls entgegenzuschleudern. Das knurrte noch immer und begann sie zu umkreisen.
»Aus!« sagte Karen. Ihre Stimme hörte sich nicht gerade nach natürlicher, tierbändigender Autorität an. Sie versuchte es mit »Platz!« Immerhin setzte sich das Riesenvieh jetzt auf seine Hinterbacken. Doch als sie sich vom Auto lösen und auf Bremers Gartentor zugehen wollte, begann das Spiel aufs neue. Der Bernhardiner begann erst zu knurren und schließlich zu bellen.
Erleichtert sah Karen, daß im Hof gegenüber das Licht anging. Dort wohnte Gottfried, der Züchter preisgekrönter Zwergwyandottenhühner. Hoffentlich verstand er sich auch auf größere Tiere.
»Der tut nichts!« rief er, als er aus dem Hoftor trat.
»Das sagen sie alle!« murmelte Karen und wich nicht von der Stelle. Nach fünf Minuten hatte sich das halbe Dorf um sie versammelt. Der Hundebesitzer kam zuletzt, als sie sich bereits wie am Pranger fühlte. Der Mann variierte den Satz, den liebende Herrchen auch noch beim Anblick einer zerfleischten Leiche sagen würden (»Er will ja nur spielen …«), murmelte ein paar mild tadelnde Worte und schickte seinen Höllenhund nach Hause.
Karen atmete auf. Bremers Nachbar Willi schob sich seinen komischen lappigen Hut in die Stirn und kratzte sich den Nacken. Gottfried zwinkerte ihr zu.
»Was macht denn das Verbrechen, Frau Staatsanwalt?« Das sagte er bei jedem ihrer Besuche.
»Wenn es überall Hunde wie diesen hier gäbe, könnte die Staatsgewalt den Bettel hinschmeißen.«
»Die Ganoven aber auch!«
Das ist ja wohl das mindeste, dachte Karen, während sie ihre Handtasche nach einem Papiertaschentuch durchwühlte, damit sie sich den Hundesabber vom Schuh wischen konnte.
»Sie sollten öfter mal kommen. Hier können Sie sich erholen vom Frankfurter Streß.« Bremers Nachbarin Marianne grinste spöttisch.
Karen grinste zurück. Sie hätte diese Bemerkung ohnehin nicht mit einer freundlichen Einladung verwechselt.
Das benutzte Papiertaschentuch warf sie in Bremers Vorgarten – er sollte wenigstens auch was von ihrem Besuch haben, wenn er schon nicht da war. In diesem Moment kamen Kevin und Carmen um die Ecke, die Nachbarskinder – Kevin schien gewachsen zu sein seit ihrem letzten Besuch, aber Carmen steckte, trotz fraulicher Oberweite, noch immer den Daumen in den Mund. Nur Bremer ließ sich nicht blicken, obwohl das Spektakel direkt vor seinem Haus unüberhörbar war. Sie ließ den Blick an seinem Haus hochwandern. Nirgends brannte Licht, auch im ersten Stock nicht, wo sein Arbeitszimmer lag.
»Sie wollen sicher Paul besuchen.« Mariannes Stimme klang noch immer spöttisch.
»Ja also …« Willi schob den Hut wieder nach hinten und kratzte sich über dem Ohr.
»Es ist nämlich so …« Sogar Gottfried suchte nach Worten. Karen blickte in die Runde. Alle guckten verlegen. Nur Kevin und Carmen nicht, deren Gesichter vor Erwartung sanft gerötet waren.
»Ist Paul vielleicht vom Rad gefallen?!« fragte sie. Alle lachten, als ob sie einen Blondinenwitz gemacht hätte.
Endlich erbarmte Marianne sich ihrer. »Anne Burau ist wieder da, Sie wissen doch: die Frau vom Weiherhof. Unsere Bundestagsabgeordnete. Und da ist er natürlich gleich hin …«
Natürlich. Karen lächelte Marianne zuvorkommend an. Pauls Nachbarin war eifersüchtig. Und sie schien die Vorstellung zu haben, das müsse auch für Karen gelten. Als ob es keine Freundschaft geben könnte zwischen Mann und Frau – ganz ohne diese unbequemen erotischen Verwicklungen …
»Wunderbar«, hörte sie sich sagen. »Da wollte ich auch hin.«
Sie verabschiedete sich, stieg wieder in den MG und wendete vor Gottfrieds Einfahrt. Als sie hupend aus dem Dorf fuhr, winkten alle. Karen fragte sich, warum sie sekundenlang so etwas wie Rührung verspürte.
Vor dem Weiherhof begrüßten sie gleich drei Hunde – ein schwarzer Köter mit gesträubtem Nackenhaar und gelben Augen, der schweifwedelnde Labrador von Peter Zettel und der rote Setter, den sie noch vom letzten Mal kannte. Diesmal ließ sie sich von Sammy die Hände ablecken. Es schien ihr eine Verbesserung darzustellen gegenüber sabbernden Bernhardinern.
Als sie
Weitere Kostenlose Bücher