Nichts als Knochen
er das Papier entfernt hatte, kam ein dunkelblaues Kästchen zum Vorschein. Langsam hob er den Deckel und erstarrte, als er die beiden schlichten Goldringe im Inneren entdeckte.
»Was ist das?«, fragte er noch einmal mit angehaltenem Atem.
»Na, wonach sieht's denn aus?« Rebecca grinste und sah ihn erwartungsvoll an.
»Ich weiß auch nicht so recht«, murmelte Krishna kaum hörbar.
»Ich bin gerade dabei, offiziell um deine Hand anzuhalten«, Rebeccas Tonfall begann eine Spur ungeduldig zu werden. Nach einer kurzen Pause sah sie ihm direkt in die Augen und fragte: »Willst du mich heiraten?«
Krishna schnappte nach Luft.
»Herrje, Rebecca! Kannst du mich auf so eine Frage nicht ein bisschen schonender vorbereiten?«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass dir die Vorbereitung missfallen hat«, entgegnete sie schnippisch.
Krishna lachte, zog ihren Kopf zu sich heran und gab ihr einen langen Kuss.
»Da hast du Recht«, flüsterte er dann, »es war sogar die beste Vorbereitung, die man sich denken kann.«
»Na also, dann wirst du ja wohl auch in der Lage sein, eine einfache Frage zu beantworten!«
Rebecca sah ihn herausfordernd an. Dann legte sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht, und sie fragte leise: »Willst du?«
Mehrere Sekunden lang sagte keiner ein Wort. Dann nickte er langsam und antwortete: »Na klar will ich! Was dachtest du denn?«
Bruno strich sich mit der schmutzigen Hand die langen, fettigen Haare glatt, so gut er konnte, und schloss kurz die Augen, bevor er langsam das Mittelschiff entlangschritt. Er war lange nicht mehr hier gewesen. Der Winter war zu lang und zu kalt gewesen. Da bettete er seine rheumatischen Knochen doch lieber auf dem Lüftungsgitter eines Kaufhauses oder quartierte sich bei einer der städtischen Übernachtungsstellen ein, wenn es ganz schlimm kam.
Bruno machte jetzt seit über zwanzig Jahren Platte und kannte alle Tricks. In gewisser Weise war er Überlebenskünstler im wahrsten Sinne des Wortes. Aber in letzter Zeit machte ihm seine Gesundheit immer mehr zu schaffen. Sein fünfzigster Geburtstag lag nun schon eine ganze Weile hinter ihm, und dem Aussehen nach hätte man ihn leicht auf über siebzig geschätzt. Der fortwährende Alkoholmissbrauch hatte seinen Körper aufgeschwemmt und die inneren Organe angegriffen. Seine Augen waren immer blutunterlaufen, und seine Nase war geschwollen und rot geädert. Seine Haut hatte die Färbung eines Fischbauchs und fühlte sich auch so an. Alles in allem war er ein Wrack. Aber gerade deshalb hatte er heute hierher kommen müssen. Er war in Köln geboren, kannte den Dom, solange er sich erinnern konnte, und für ihn hatte er immer etwas Erhabenes an sich gehabt. Er stammte aus zerrütteten Familienverhältnissen, und das Jugendamt hatte ihn mit neun Jahren in ein Kinderheim gegeben, das von Mönchen geleitet wurde. Vielleicht lag es daran, dass er in den folgenden Jahren Ministrant gewesen war und diese Zeit in seiner Erinnerung die einzig glückliche Phase seines Lebens darstellte. Jedenfalls fühlte er sich im Dom immer geborgen und behütet, und er sog die besondere Atmosphäre, die dort herrschte, tief in sich ein, sooft er hier war.
Irgendwann hatte er damit begonnen, sich während der warmen Jahreszeit manchmal abends im Dom zu verstecken und einschließen zu lassen. Kein Ort der Welt schien ihm sicherer zu sein, und sein Schlaf war hier süß und frei von all den Albträumen, die ihn sonst so oft heimsuchten. Und bisher war er auch noch niemals von einem der Nachtwächter entdeckt worden, die gelegentlich in der geheimen Klause über dem Eingang zur Sakramentskapelle nächtigten. Irgendwann würden sie ihn erwischen. Egal! Er konnte nicht vom Dom lassen. Und jetzt war es wieder so weit. Der Winter war vorbei, und die ersten wärmeren Frühlingsnächte hatten Bruno hierher getrieben. Das letzte schwache Dämmerlicht fiel durch die hohen Fenster ins Innere der Kathedrale und sorgte zusammen mit dem Flackern der vielen hundert Stundenbrenner vor der Schmuckmadonna für einen warmen Glanz auf dem kalten Steinboden. Lächelnd ging Bruno auf den Chorraum zu, kümmerte sich nicht um die Absperrung aus dickem, rotem Seil und hielt erst an, als er vor dem Dreikönigenschrein stand. Mit leicht geöffnetem Mund stand er da, und sein Blick glitt über die Figuren aus schimmerndem Gold und die großen, bunten Edelsteine. Hatte die Welt je etwas Schöneres gesehen?
Dario versuchte verzweifelt, die Kapuze seines Skapuliers aus der
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