Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Vorwort
Ich habe jetzt doch ein bisschen die Sorge, Sie könnten mich für seltsam halten. Nachdem ich dieses Buch in Gänze noch mal durchgegangen bin, muss ich mir selbst einen Hang zum nörglerischen Besserwissertum beziehungsweise zur unnützen Schlaumeierei attestieren. Wie kann es sein, dass sich einer ohne Studium, strenggenommen sogar ohne anerkannte Ausbildung, hinsetzt und über Dutzende von Seiten Beobachtungen beschreibt, Erklärungen abgibt und ungefragt den Senf aus seiner Tube dazudrückt? Ich sag Ihnen, wie das sein kann: Wer mit offenen Augen und Ohren durch seine Heimat geht oder fährt, schnappt haufenweise Eindrücke auf. Wer sich darüberhinaus nicht nur aufs Aufschnappen, sondern auch aufs Hinterfragen einlässt, häuft im Laufe der Jahre ein krudes Sammelsurium an Wissen an, das weder bei einem Studium noch bei der täglichen Arbeit hilft und bei »Wer wird Millionär?« wahrscheinlich nicht mal für 500 Euro reichen würde. Es handelt sich dabei um kein mutwillig antrainiertes Wissen, sondern eher um eines, das einfach so im Vorbeihören und Vorbeilesen aufgeschnappt wurde. Ich nenne es mal Schnappwissen. Da ich nun aber meine Mitmenschen nicht permanent mit diesem Schnappwissen belästigen will, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, mein dahingehendes (und allzu oft ausgebremstes) Mitteilungsbedürfnis anders zu kanalisieren. Ein Buch hielt ich für eine gute Idee. Während ich nämlich im Gespräch sofort bemerke, wann mein Schnappwissen zu langweilen anfängt, können Sie das Buch jederzeit diskret beiseitelegen, ohne dass ich es mitbekomme.
Nicht alle Daten und Fakten der folgenden Kapitel hatte ich ohne nachzuschlagen sofort parat, das gebe ich zu. Aber alle verarbeiteten Themen spukten mir schon lange im Kopf herum und wurden von mir als recherchierenswert erachtet. Denn nur, wer im Alltäglichen die kleinen Besonderheiten findet, kann das große Besondere im Nichtalltäglichen schätzen. Der französische Schriftsteller Antoine de Rivarol hat mit folgender Großkotzigkeit mal eine Lanze für das Alltägliche gebrochen: »Die außerordentlichen Geister wenden sich vor allem den alltäglichen, vertrauten Dingen zu, während den gewöhnlichen Köpfen nur die außerordentlichen Dinge auffallen.« Ich lade Sie deswegen auf eine Reise durch die deutsche und europäische Alltäglichkeit ein, bei der Sie sicher die eine oder andere Außerordentlichkeit entdecken werden und Ihren »gewöhnlichen Kopf« im Sinne de Rivarols zum »außerordentlichen Geist« pimpen können.
Eins noch: Sollte gerade Ihre Heimatstadt von mir im Folgenden verunglimpft werden, nehmen Sie es mir nicht krumm. Die meisten deutschen Städte haben sich ihr Gesicht nach 1945 ja nicht freiwillig ausgesucht.
Manchmal habe ich das Gefühl, im Laufe eines Tages doppelt so viele überflüssige Eindrücke wahrnehmen und abspeichern zu können wie normale Menschen. Ohnehin prasseln in der heutigen Zeit jede Menge Bilder, Fakten und Informationen auf unsere menschlichen Matschbirnen ein, wovon nur die wenigsten tatsächlich von Relevanz sind. In meinem Hirn vermute ich eine scharfe Trennkante, die eingehende Informationen in »wichtig« (Namen von Kollegen, Wiedererkennung von Gesichtern, mathematische Formeln zum Bestehen des Abiturs etc.) und »unwichtig« (Höhe von Bergen, Nummerierung von Bundesstraßen, Telefonvorwahlen etc.) dividiert. Das an sich ist ganz kommod. Ärgerlich ist allein, dass an das Bassin für die wichtigen Informationen offenbar ein riesiger Mülleimer angeschlossen ist, während die unwichtigen Fakten umgehend auf einer voluminösen Festplatte langzeitarchiviert werden.
Frappierend wurde dieses Ungleichgewicht bei einem Griechenlandurlaub deutlich: Ich verbrachte einen Nachmittag mit drei wirklich hübschen Mädchen beim Kurs »99 Worte Landessprache«. Am nächsten Tag begrüßten mich die drei mit einem freundlichen »Kaliméra«, woraufhin ich verwundert fragte, wo sie das denn gelernt hätten. Die drei Girls reagierten verstört und schnitten mich fortan. Wie sie ausgesehen hatten und hießen, habe ich offenkundig innerhalb von sechzehn Stunden vergessen. Bis heute erinnere ich mich allerdings, dass sie aus Sarstedt, Peine und Hildesheim-Himmelsthür kamen.
Von meinem Kollegen Dingsbums kann ich mir seit drei Jahren den Vornamen nicht merken, aber ich weiß, dass er einen roten Renault Twingo fährt, den er laut Nummernschildumrandung im Autohaus Ziplinski gekauft hat. Von allen
Weitere Kostenlose Bücher