Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
gesorgt, dass im Ortsteil Ueberau noch rasch eine Karl-Marx-Straße eingerichtet wurde.
Nun läge der Verdacht nahe, dass sich anderswo Orte mit CDU-oder CSU-Vorherrschaft rächen wollen für dieses kesse Verhalten. Seltsamerweise ist das nicht so. Im christdemokratischen Stammland Baden-Württemberg führt nur hier und da eine Konrad-Adenauer- oder eine Ludwig-Erhard-Straße ein schüchternes Dasein. Viel höher stehen hier im Straßennamenkurs biedere, apolitische Dinge wie Tüftler (Daimler, Bosch, Maybach, Benz), Berge (Feldberg, Rechberg, Achalm, Teck) oder Vögel (Amsel, Fink, Meise, Drossel). Schon der Buntspecht erscheint wegen seines nonkonformen Aussehens auf den wenigsten Stadtplänen. Haubenmeisen, die Punks unter den heimischen Vögeln? Undenkbar. Auch Flüsse, Baumarten und Seen werden im Südwesten für Straßennamen gerne herangezogen. Mit der Größe der Stadt steigt auch die Kreativität der Straßennamen, und die verwendeten Sujets werden zunehmend absurd.
In Stuttgart gibt es zum Beispiel ein Pilzviertel mit unterschiedlich erstrebenswerten Namen. Während Steinpilzweg und Trüffelweg nach einer Kolonie deutscher Fernsehköche klingen, ist der Hallimaschweg nur was für Nervenstarke. Erstens kann über den lautmalerischen Wohlklang des Namens gestritten werden, zweitens kann er bei schnellem Drüberhinweglesen für den Haschweg gehalten werden – und drittens ist es einfach unschicklich, Kuverts mit Giftpilzen zu adressieren. Bevor man in den Hallimaschweg zieht, könnte man sich genauso gut im Dioxinweg oder im Quecksilberweg niederlassen.
Davor sind die Stadtverwaltungen allerdings bisher zurückgescheut. Trotzdem gibt es Straßen, deren Name allein für einen Wertverfall der Immobilie sorgen kann. Sich zum Beispiel in der Remscheider Straße »Rotzkotten« niederzulassen, bedarf schon eines guten Humors. Auch die Bewohner der »Schlamasselgasse« in Amorbach oder des »Stinkbüttelsgang« im niedersächsischen Hanstedt werden sich im Lauf der Jahre ein dickes Fell zugelegt haben müssen. Gänzlich übertrieben haben es die Stadtväter Dingolfings mit der »Bischöflich-Geistlicher-Rat-Josef-Zinnbauer-Straße«, die meines Wissens den Längenrekord unter den deutschen Straßennamen hält. Wenigstens ein Rekord für Dingolfing.
Viel erheblicher als der Name ist aus meiner Sicht allerdings das Schild, auf dem er prangt. Hier unterscheiden wir zweierlei Arten von Städten: Solche, die ein durchgehendes Design ihrer Straßenschilder haben und solche, die einfach irgendwas dranklatschen, Hauptsache, der Rettungswagen findet irgendwie zum Patienten. Musterbeispiel gelungenen Straßenamen-Designs ist eindeutig Berlin – da stimmt alles. Die Schilder dort sind leserlich, ordentlich eingefasst und strahlen jede Menge großstädtischer Grandezza aus. Das etwas altertümliche Schriftbild der Lettern »z« und »ß« fügt sich nahtlos in Altbaustraßen ein, auf dem Schild über dem eigentlichen Namen befinden sich oft Zusatzinfos über den Namenspaten. Schilder dieses Designs finden sich auch in Bonn, Göttingen und Bad Lauterberg im Harz, wobei in Bad Lauterberg trotz der hervorragenden Straßenschilder nur selten großstädtische Grandezza aufkommt. Im Ostteil Berlins gibt es Varianten, die zwar auch sauber eingefasst sind, im Schriftbild allerdings weniger begeistern. Sie wurden von der DDR-Führung in schmuckloserem Buchstabendesign ausgeführt.
An ausgewählten Plätzen versucht Berlin mittels historisierender Beschilderung das Flair vergangener Zeiten wiederzubeleben. Die Schriftart erinnert an die zwanziger Jahre und wird von einem Rechteck umrahmt, das jeweils an den Ecken abgerundet wurde, um den Schraubeneinfassungen außerhalb der Umrandung Platz zu lassen. Es haucht dem Besucher zu: »Schau, hier wo ich stehe, ist es gemütlich, ich bin so schön alt, dass Zille mich schon gesehen haben könnte«. Hier und da geht der Plan auf, beispielsweise in der Altstadt von Spandau. Auf einem baumlosen Platz zwischen Plattenbauten, Weltzeituhr und ehemaligem Centrum-Kaufhaus ist ein einzelnes Schild allerdings nicht in der Lage, die Zerstörungen des Krieges und die daran anschließende sozialistische Bauwut vergessen zu machen, und rangiert daher auf einer Skala irgendwo zwischen deplatziert und jämmerlich.
Neben Berlin überzeugen auch Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf und natürlich München mit einheitlich beschilderten Straßen. Die Münchner Schilder sind der heimliche Star ihrer Gattung,
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