Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
Sie haben dich alle sehr geliebt, Kelly. Ich habe deine Mommy und deinen Daddy nur ein paar Jahre gekannt. Stell dir vor, du hast sie dein ganzes Leben lang gekannt!«
Ich beobachtete sie, wie ihre Mundwinkel sich zu einem schwachen Lächeln verzogen. Sie drängte ihren Körper fester gegen meine Beine.
»Ich will bei dir bleiben, Nick.«
»Das wäre schön, aber es würde nicht klappen. Du mußt zur Schule gehen und lernen, eine Erwachsene zu werden.«
»Du könntest mir dabei helfen.«
Wenn sie wüßte! Mir gehörte nicht mal eine Garage für ein Motorrad, ganz zu schweigen von einem Haus, in dem ein kleines Mädchen aufwachsen konnte.
Erst die Waffe, dann die Ausrüstung und zuletzt man selbst - das ist die richtige Reihenfolge. Ich wollte die Federn meines Pistolenmagazins entlasten; das war nicht unbedingt notwendig, aber ich hatte das Gefühl, es tun zu müssen, weil es das Ende einer Phase und den Anfang einer neuen bezeichnete.
Kelly schlief bereits fest.
Ich stellte mein Mobiltelefon ins Ladegerät, damit es betriebsfähig blieb. Schließlich war es die einzige Verbindung zwischen Pat und mir. Dann kippte ich den Inhalt der Reisetasche aufs Bett, um ihn zu sortieren. Alle neugekauften Kleidungsstücke wurden beiseite gelegt; die restliche Ausrüstung kam wieder in die Tasche. Ich ärgerte mich darüber, daß ich die Videokamera auf dem Hoteldach hatte zurücklassen müssen, denn sie würde gefunden werden und eindeutig beweisen, daß ich etwas mit der Schießerei in der Ball Street zu tun gehabt hatte. Außerdem war der Videofilm verloren, der für Simmonds vielleicht so wertvoll gewesen wäre, daß er mir eine Zukunft hätte sichern können.
Nachdem ich meine Ausrüstung neu gepackt hatte, legte ich mich aufs Bett und faltete meine Hände hinter dem Kopf. Während ich auf das leise Summen der Klimaanlage lauschte, begann ich, über dieses ganze beschissene Spiel nachzudenken - und darüber, daß Leute wie McGear und ich wieder und wieder ausgenutzt wurden. Aber damit hörte ich schnell auf, als ich merkte, daß ich anfing, mich selbst zu bemitleiden. McGear und ich hatten die Wahl gehabt und uns freiwillig für diese Arbeit entschieden.
Es war schwierig, den dramatischen Ereignissen der vergangenen Nacht etwas Gutes abzugewinnen. Wenigstens brauchte ich mir keine Sorgen darüber zu machen, wie ich die blutbefleckten Kleidungsstücke in der blauen Reisetasche beseitigen sollte. Die Polizei würde natürlich feststellen, daß das Blut von Browns stammte, aber das war nichts im Vergleich zu den Schwierigkeiten, in denen ich bereits steckte. Und auf der Habenseite konnte ich verbuchen, daß ich eindeutige Querverbindungen zwischen Kev, der PIRA, dem Gebäude in der Ball Street und dem von mir kopierten Speicherinhalt des dort stehenden Computers hergestellt hatte.
Ich hatte keine Lust, jetzt den Laptop rauszuholen und zu versuchen, dieses Material zu sichten. Dafür war ich zu müde. Ich würde Fehler machen und womöglich wichtige Dinge übersehen. Außerdem war mein Adrenalinspiegel so drastisch gefallen, daß die Kopf- und Nackenschmerzen jetzt stärker als zuvor waren.
Ich duschte heiß und rasierte mich sogar. McGears Bißwunden in meinem Gesicht waren bereits verschorft. Ich vertraute darauf, daß sie von selbst abheilen würden.
Ich zog Jeans, Sweatshirt und Sportschuhe an und lud meine Magazine nach. Ich brauchte Ruhe, aber ich mußte notfalls sofort einsatzbereit sein. Sobald ich ein paar Stunden geschlafen und etwas gegessen hatte, wollte ich mich hinsetzen und nachsehen, was in dem Laptop war. Aber das klappte nicht. Ich wälzte mich in meinem Bett, schlief immer nur für wenige Minuten und lag die meiste Zeit wach.
Ich schaltete den Fernseher ein und suchte die Kanäle ab, um zu sehen, ob McGear schon in den Nachrichten war. Natürlich wurde über ihn berichtet.
Die Kamera schwenkte über die Straßenfront des PIRA-Gebäudes und zeigte die obligatorischen Streifen- und Notarztwagen, bevor ein Mann vor die Kamera trat und zu quatschen begann. Ich machte mir nicht mal die Mühe, den Ton anzustellen; ich wußte ohnehin, was der Reporter sagen würde. Ich rechnete eigentlich damit, daß mein Freund, der junge Obdachlose, vor laufenden Kameras berichten würde, was er gehört und gesehen hatte.
Kelly schlief jetzt so unruhig, als träume sie schlecht - bestimmt von McGear.
Ich sah nachdenklich auf sie herab. Die Kleine hatte sich ausgezeichnet verhalten, das stand fest. Die letzten Tage
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