Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
»Kelly, putz dir gut die Zähne, sonst fallen sie aus, und du kannst nicht mehr kauen, wenn du älter bist!«
Ich hörte: »Yeah, yeah, okay.«
Im Fernsehen gab es nichts Neues über den Mordfall
McGear. Als Kelly aus dem Bad kam, hatte sie sich nicht nur die Haare gewaschen, sondern trug bereits ihre neuen Jeans und ein Sweatshirt. Nachdem ich ihr die Haare trockenfrottiert hatte, zog sie Sportschuhe und ihren neuen blauen Mantel an. Außerdem setzten wir beide neue Baseballmützen auf, die ich ebenfalls gekauft hatte: schwarzer Jeansstoff mit dem Schriftzug Washington, D.C.
Nun konnten wir gehen. Ich hatte vor, mich irgendwo in der Nähe von Pats Wohnung aufzuhalten, damit wir uns gleich treffen konnten, wenn er mich um achtzehn Uhr anrief.
Was sollte ich mit der Sicherungsdiskette machen? Ich beschloß, sie hier im Zimmer zu verstecken, um die Risiken zu verringern: Falls Kelly und ich geschnappt wurden, fiel ihnen wenigstens nicht gleich alles in die Hände. Das lange dunkle Sideboard mit dem Fernseher stand auf niedrigen Metallfüßen.
Ich hob es an einer Ecke hoch, befestigte meine Diskette mit Gewebeband darunter und sicherte das Versteck durch einige Merkzeichen. Nach einem letzten Blick in die Runde verließen wir das Zimmer.
Draußen nieselte es wieder einmal, und die Temperatur war seit dem frühen Morgen zurückgegangen. Kelly war selig, mich begleiten zu dürfen; ich versuchte auf ihr Geplapper einzugehen, aber innerlich machte ich mir größte Sorgen um Pat. Während wir die Abkürzungen über den Rasen nahmen, um nicht an der Rezeption vorbeigehen zu müssen, überlegte ich, ob ich Euan anrufen sollte. Aber ich verwarf diesen
Gedanken wieder. Zumindest noch nicht gleich. Vielleicht würde ich ihn später brauchen. Er war ein As, das ich im Ärmel behalten mußte.
In der näheren Umgebung standen überall Hotels. Wir gingen die Straße entlang zu einem, das ein paar hundert Meter entfernt war, und ich betrat die Hotelhalle, um ein Taxi zu bestellen. Kelly wartete solange draußen unter der Markise.
Als ich wieder ins Freie trat, sagte ich: »Wenn wir jetzt ins Taxi einsteigen, schlägst du die Kapuze hoch und lehnst dich an mich, als seist du müde. Denk daran, du hast versprochen, alles zu tun, was ich dir sage.«
Unser Taxi kam, um uns nach Georgetown zu bringen. Kelly lehnte sich an mich, und ich zog ihre Kapuze noch etwas weiter nach vorn, damit der Taxifahrer ihr Gesicht nicht sehen konnte.
Wir stiegen auf der Wisconsin Avenue aus. Unterdessen war es 16 Uhr 30, und alle Leute um uns herum wirkten aufreizend normal, während sie über die Gehsteige schlenderten, sich unterhielten und Einkäufe machten. Wir verbrachten die nächste Stunde damit, spazierenzugehen und etwas zu essen. Um 17 Uhr 30 war es in der Einkaufspassage in Georgetown, in der wir saßen, recht warm, und wir fühlten uns beide schläfrig.
Ich trank einen Cappuccino, und Kelly hatte eine Bananenmilch vor sich stehen, die sie aber nicht anrührte, weil sie voller Cola und Hamburger war. Ich sah jede halbe Minute auf meine Armbanduhr, bis es endlich 17 Uhr 55 war. Dann schaltete ich das Mobiltelefon ein. Ladezustand gut, Feldstärke gut.
Es wurde achtzehn Uhr.
Nichts.
Eine Minute nach sechs.
Zwei Minuten nach sechs.
Ich saß da und war vor Ungläubigkeit beinahe gelähmt. Kelly war zufrieden in einen Comic vertieft, den sie sich selbst ausgesucht hatte.
Vier Minuten nach sechs. Das ließ das Schlimmste befürchten. Pat hätte mich nicht im Stich gelassen, wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte, mich pünktlich zu erreichen. Er wußte so gut wie ich, daß im Einsatz eine Minute Verspätung so schlimm ist wie eine Stunde oder ein Tag Verspätung, weil das Leben anderer davon abhängen kann. Unter Umständen muß ein Angriff dann ohne den dringend erforderlichen Feuerschutz beginnen.
Also mußte es ein Problem geben. Ein großes Problem.
Ich ließ mein Mobiltelefon eingeschaltet. Um 18 Uhr 20 sagte ich schließlich: »Komm, Kelly, wir besuchen Pat.«
Damit war die Normalität zu Ende. Ich saß wirklich in der Scheiße. Auf Pat durfte ich nicht mehr hoffen.
28
Wir traten aus der Einkaufspassage und hielten auf der Straße ein Taxi an.
Riverwood erwies sich als hübsches, bestimmt nicht billiges Wohnviertel, in dem Holzhäuser mit gepflegten
Rasenflächen und europäischen Wagen in den Einfahrten sich mit schicken Apartmentgebäuden mit Tiefgaragen abwechselten. Auch die Geschäfte zeigten, daß hier
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