Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
Ernst.
»Jedenfalls hat er sich von mir überreden lassen, hat das Sakko runtergezogen und ist wieder losmarschiert. Ich bin um die Siedlung herumgefahren, um ihn abzuholen. Und als Nächstes hat dieser verdammte JCB angefangen, die Karosserie meines Wagens umzumodeln. Also habe ich mich meiner Haut gewehrt, und die grüne Army ist schwer bewaffnet in die Siedlung eingerückt und hat nach ungefähr einer Stunde Bobs Leiche geborgen.«
Suzys Gesicht war weiter von ihrem Haar bedeckt, aber ich wusste, dass sie wieder gegen Tränen ankämpfte. »Hör zu, du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen. Er hätte seine Kleidung vor dem Aussteigen selbst kontrollieren müssen. Dafür konnte niemand etwas; solcher Scheiß passiert eben.«
»Nein, das stimmt nicht. Ich hab Scheiße gebaut, weil ich nicht den Mut hatte, mir einzugestehen, dass wir enttarnt waren. Ich bin mir wie ein Versager vorgekommen - und das wollte ich nicht akzeptieren.« Suzy setzte sich auf und schwang die Beine vom Sofa. Ihre Augen waren nass, ihre Wangen gerötet, und sie kümmerte sich jetzt nicht mehr um den Bademantel, der sich öffnete und ihre Beine sehen ließ. »Wegen meiner Schuldgefühle konnte ich niemandem davon erzählen, aber ich habe Bob gesehen, ich habe gesehen, wie sie ihn niedergeschlagen und getreten haben. Und er hat mich gesehen; er hat verzweifelt um Hilfe gerufen. Da war ich bereits aus dem Wagen, aber ich konnte nicht zu ihm vordringen. Ich habe gesehen, wie sie ihm mit einem Pflasterstein den Schädel eingeschlagen haben. Daran war ich schuld, aber ich konnte nichts dagegen tun .«
Ihre Tränen flossen weiter, aber sie gab keinen Laut von sich. Vielleicht hatte sie in den Jahren seit damals schon genügend geschluchzt.
Mein Herz jagte: Ich musste mehr erfahren. »Träumst du manchmal davon - du weißt schon, so als ob in deinem Kopf ein Film abliefe?«
Sie nickte, ohne auch nur zu versuchen, sich die Tränen abzuwischen. »Du kennst solche Träume, stimmt’s? Du hast sie auch. Oft sind sie einfach nicht zu stoppen, schon Gewaltszenen im Fernsehen können sie auslösen. Du weißt, wie das ist . Der Film läuft wieder und wieder in meinem Kopf ab und bringt mich völlig durcheinander. Dagegen bin ich machtlos.«
Scheiße. Das war mehr als genug. Ich stand auf, um diese Beichte auf der Stelle zu beenden. »Möchtest du einen Tee?«
Suzy nickte erneut. »Ja, du hast Recht. Halten wir lieber den Mund, bevor wir normal werden und über allen möglichen Scheiß reden. Man weiß nie, die Dämme könnten wirklich brechen, und dann wären wir ganz erledigt.«
Sie folgte mir in die Küche, blieb an die Arbeitsplatte gelehnt stehen und trocknete sich mit einem Geschirrtuch die Tränen ab, während sie zusah, wie ich den Wasserkessel füllte und nach Teebeuteln griff.
»Seit damals, Nick, bin ich überall die Erste, die sich freiwillig meldet. Kein Auftrag ist zu klein, Suzy übernimmt ihn. Dafür braucht’s keine billige
Psychologie. Ich überlebe, auch wenn ich Scheiße baue, selbst wenn ich es nicht verdient habe. Deshalb komme ich mit dir nach Berlin.«
Ich goss Wasser über die Teebeutel. »Ich brauche dich erst, wenn ich zurückkomme.«
»Denk darüber nach. Zu zweit ist man besser getarnt, und außerdem weißt du nicht, was dich dort erwartet. Dazu kommt natürlich« - sie grinste - »dass du nichts taugst. Wie oft habe ich deinen fetten Arsch schon retten müssen?«
Ich gab ihr einen Becher und sah dabei wieder diesen beängstigenden Ausdruck auf ihrem Gesicht. Gut, damit war wieder Normalität eingekehrt. Keine Gerede mehr von Filmen im Kopf und brechenden Dämmen. Ich würde jedenfalls aufpassen, dass meiner nicht brach. »Du hast also ein echtes Syndrom? Ich hab dich immer nur für verrückt gehalten.«
Das brachte sie zum Lachen, aber dann verengten sich ihre Augen. »Was hättest du getan, wenn ich nein gesagt hätte? Mich umgebracht?«
»Ich hätte dich nur aus dem Verkehr gezogen, bis ich Kelly wiederhabe.«
»Hör zu, ich will dich nicht belügen. Bin ich allein und vor die Wahl zwischen Kelly und Dark Winter gestellt, weißt du, wofür ich mich entscheide, oder nicht?«
Ich nickte. »Ich habe zwei wichtige Fragen.«
»Hoffentlich sind sie’s wirklich.«
Ich zog am Halsausschnitt meines Sweatshirts. »Kann ich bei dir duschen und deine Waschmaschine mit Trockner benutzen? Ich bin hier drunter ganz sandig. Und kannst du bei Air Berlin anrufen und dir einen Platz in meiner Maschine reservieren
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