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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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einigen, der
Entwicklung von wahrscheinlich mit noch größerer Zerstörungskraft ausgestatteten Wasserstoffbomben Einhalt zu gebieten.
    Bohr erläuterte seine langfristig orientierten Überlegungen dem wissenschaftlichen Geheimdienstoffizier Reginald Victor Jones, der vor allem für die Spionage zuständig war, die sich gegen Deutschland richtete. Jones gewann die Überzeugung, dass Bohrs Ansatz einen Besuch bei Churchill lohnen würde – zum einen, um dem Premier die realistische Einschätzung eines führenden Wissenschaftlers zur Kenntnis zu bringen, zum anderen weil er meinte, Churchill könne dem grundlegenden Gedanken der Komplementarität einige Sympathie abgewinnen. Schließlich hatte der britische Premier 1931 einen Essay über den Propheten Moses geschrieben, in dem es hieß: »Jeder Prophet kommt aus der Zivilisation, aber jeder Prophet muss auch in die Wildnis gehen. Er muss einen deutlichen Eindruck von einer komplexen Gesellschaft und allem, was sie hervorbringt, haben, und er muss sich auf Perioden der Isolation und Meditation einlassen.« Konnte es nicht sein, dass Churchill in Bohr einen solchen Propheten sah, der Politikern bei ihren Entscheidungen half?
    Churchill ließ Bohr mehrere Tage warten, bis dieser am 16. Mai 1944 das Haus in der Downing Street 10 betreten durfte. Das Gespräch endete jedoch in einem Debakel. Bohr hatte zwar einen Text vorbereitet, den er verlesen wollte, weil er befürchtete, sich beim freien Sprechen zu verhaspeln. Aber dann begann Churchill unerwartet ein Gespräch mit Bohrs Begleiter, Lord Cherwell, der den Premier in Wissenschaftsfragen beriet, ohne von Bohr Notiz zu nehmen. Bohr fand es anschließend unpassend, seine vorbereitete Ansprache zu verlesen, und so begann er, seine Gedanken in sich endlos windenden Sätzen auszudrücken, bis Churchill die Geduld verlor und dem Besucher Naivität unterstellte und Zeitverschwendung vorwarf. Er höre Bohr gerne zu, sagte Churchill noch, aber nicht, wenn es um Fragen der Politik gehe. Bohr war entlassen und fühlte sich wie ein dummer Schuljunge, der bei einer Prüfung versagt hatte. Er bot dem britischen Premier noch an, ihm seine Gedanken in einem Brief darzulegen, was Churchill aber nur unter der Bedingung akzeptierte, dass darin nicht von Politik die Rede sein dürfe.

    Aber so leicht gab Bohr nicht auf. Er verfasste ein Memorandum, das für US-Präsident Roosevelt bestimmt war. Der Text begann mit den folgenden Worten:
    Es gibt kaum jemanden, dessen Phantasie die Folgen zu überschauen vermag, die das Atomprojekt in den kommenden Jahren nach sich ziehen wird. Auf lange Sicht kann man von den enormen und dann zur Verfügung stehenden Energiequellen erwarten, dass sie Industrie und Transportmittel revolutionieren werden. Die unmittelbar entscheidende Tatsache ist indessen, dass man im Begriff ist, eine Waffe von unvergleichlicher Gewalt zu schaffen, die alle zukünftigen Bemühungen der Kriegsführung vollständig ändern wird.
    Bohr wollte aus seinen Erfahrungen heraus argumentieren, die er bei der internationalen Kooperation von Wissenschaftlern an seinem Institut gemacht hatte und die zu dokumentieren schienen, dass die gemeinsamen Bemühungen um Forschung zu den fortschrittlichsten Formen der menschlichen Zusammenarbeit gehören. Weiter hieß es in dem Memorandum:
    Gerade in dieser Hinsicht kann Hilfe und Unterstützung in der umspannenden wissenschaftlichen Zusammenarbeit gefunden werden, die seit Jahren vielversprechende Beiträge zum gemeinsamen menschlichen Streben geliefert hat. Vor diesem Hintergrund sollten persönliche Beziehungen zwischen den Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern den Weg zu einleitenden und unverbindlichen Kontakten bereiten.
    Bohr beendete den Text mit dem optimistischen Ausblick, dass eine »Welt zugleich mit der Kenntnis der furchtbaren Vernichtungswaffen« auch »die Nachricht erhalten würde, dass der große wissenschaftliche und technische Fortschritt dazu beigetragen hat, eine feste Grundlage für eine künftige friedliche Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu schaffen«.

Im Kreuzfeuer der Kritik
    Als Bohr sein Memorandum schrieb, konnte noch niemand wissen, wie der Krieg enden würde. Solange das nationalsozialistische Deutschland mit seiner Armee noch kampffähig war, konnte kein Politiker auf Waffen oder Entwicklungen verzichten, die zum Sieg beitragen würden. Es verwunderte also nicht, dass Bohr in der Welt der Diplomatie so gut wie keinen Anklang fand. Selbst in

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