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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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erwehren.
     In der Nacht war eine Menge Schnee gefallen, und es schneite noch immer weiter. Die ganze Luft war voll weißer Flocken, die
     so groß waren, daß man, ehe sie fielen, gut hätte glauben können, es seien die Flügel erfrorener Schmetterlinge. Auf dem See
     lag der Schnee mehr als zollhoch, die Ufer waren weiß, und die Wildgänse waren so beschneit, daß sie aussahen wie kleine Schneewehen.
    Von Zeit zu Zeit bewegten sich Akka oder Yksi oder Kaksi ein wenig, aber wenn sie sahen, daß es noch immer schneite, steckten
     sie schnell den Kopf wieder unter die Flügel. Sie fanden wohl, daß sie in einem solchen Wetter nichts Besseres tun konnten
     als schlafen, und darin mußte der Junge ihnen recht geben.
    Einige Stunden später erwachte er von dem Läuten der Rättviker Kirchenglocken. Jetzt hatte das Schneewetter aufgehört, aber
     es wehte scharf aus Norden, und draußen auf dem See war es schneidend kalt. Er freute sich, als die Wildgänse endlich den
     Schnee abschüttelten und dem Lande zuflogen, um sich Fressen zu verschaffen.
    An jenem Tage war Konfirmation in der Rättviker Kirche, und die Konfirmanden, die rechtzeitig gekommen waren, standen in kleinen
     Gruppen vor der Kirche und sprachen miteinander. Sie trugen alle die Tracht der Gegend, und ihre Kleider waren so neu und
     bunt, daß sie förmlich schimmerten. »Liebe Mutter Akka, fliege hier ein wenig langsamer,« sagte der Junge, als die Wildgänse
     geflogen kamen, »damit ich die jungen Leute sehen kann!« Die Führergans fand scheinbar, daß das ein billiges Verlangen war,
     denn sie ließ sich so tief hinab, wie sie nur konnte, und flog dreimal um die Kirche herum. Es ist nicht leicht zu sagen,
     wie es sich in Wirklichkeit verhielt, aber als Niels Holgersen die Knaben und die Mädchen von da oben erblickte, meinte er,
     nie eine Schar prächtigerer junger Menschenkinder gesehen zu haben. »Ich glaube nicht, daß es feinere Prinzen und Prinzessinnen
     im Schloß des Königs gibt,« sagte er zu sich selbst.
    Es war ziemlich viel Schnee gefallen. In Rättvik bedeckte er alle Felder, und Akka war nicht imstande, auch nur eine Stelle
     zu entdecken, wo sie sich niederlassen konnte. Da besann sie sich nicht lange, sondern flog südwärts, nach Leksand hinab.
    In Leksand waren, wie gewöhnlich im Frühling, die meisten der jungen Leute fortgegangen, um Arbeit zusuchen. Es waren kaum andere daheim im Dorf als die Alten, und als die Wildgänse geflogen kamen, wanderte eine lange Reihe
     alter Frauen durch die stattliche Birkenallee, die zur Kirche hinauf führt. Sie kamen dahergegangen auf der weißen Erde zwischen
     den weißstämmigen Birken in schneeweißen Schaffelljacken, weißen Pelzkleidern, gelben oder schwarz und weiß gestreiften Schürzen
     und mit weißen Mützen, die das weiße Haar fest umschlossen.
    »Liebe Mutter Akka,« sagte der Junge, »fliege hier ein wenig langsamer, damit ich mir die alten Leute ansehen kann!« Die Führergans
     fand scheinbar, daß das ein billiges Verlangen war, denn sie ließ sich so tief hinab, wie sie es nur wagen konnte, und flog
     dreimal über der Birkenallee hin und her. Es ist nicht leicht zu sagen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt, aber der Junge
     meinte, nie alte Frauen gesehen zu haben, die so klug und milde aussahen. »Diese alten Frauen sehen so aus, als wenn sie Könige
     zu Söhnen und Königinnen zu Töchtern hätten,« sagte der Junge zu sich selbst.
    Aber in Leksand war es nicht besser als in Rättvik. Überall lag hoher Schnee, und Akka sah keinen anderen Ausweg, als die
     Reise südwärts bis nach Gagnef fortzusetzen.
    In Gagaef hatte an jenem Tage vor dem Gottesdienst eine Beerdigung stattgefunden. Der Leichenzug war spät zur Kirche gekommen,
     und hinterher war das Begräbnis in die Länge gezogen. Als die Wildgänse geflogen kamen, waren noch nicht alle in die Kirche
     gegangen; verschiedene Frauen gingen noch auf dem Kirchhof herum und sahennach ihren Gräbern. Sie hatten grüne Taillen an mit roten Ärmeln, und auf dem Kopf hatten sie bunte Tücher mit farbigen Fransen.
    »Liebe Mutter Akka, fliege hier ein wenig langsamer,« sagte der Junge, und die Wildgans fand scheinbar, daß das ein billiges
     Verlangen war, denn sie ließ sich so tief nieder, wie sie es nur wagen konnte, und flog dreimal über den Kirchhof hin und
     her. Es ist schwer zu sagen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt, aber als der Junge die Frauen von dort oben durch die Bäume
     des Kirchhofes sah, fand

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