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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Ende der Rättviker Bucht geht eine ungeheuer lange Dampferbrücke in das Wasser hinaus, und an der äußersten Spitze
     dieser Brücke stand eine Schar Sänger und sang in der späten Nachtstunde über den See hinaus. Es war, als glaubten sie, daß
     der Frühling so wie die wilden Gänse draußen auf dem Eis des Siljans schlafe, und als wollten sie ihn wecken.
    Die Sänger begannen mit: »Ich weiß ein Land im hohen Norden«, und dann folgte: »Gar schön ist der Lenz, wenn die Erde sich
     freut!« darauf: »Nach Tuna geht der Marsch«, »Mannheit, Mut und freie Männer«, und schließlich: »In Dalarna wohnten, in Dalarna
     wohnt«. Es waren alles Lieder, die von Dalarna handelten. Auf der Dampferbrücke brannte kein Feuer, und die Sänger konnten
     sich nicht weit umsehen. Aber mit den Tönen stieg das Bild ihres Landes vor ihnen und vor allen, die sie hörten, klarer und
     schöner auf, als wenn es heller, lichter Tag gewesen wäre. Es war gleichsam, als wollten sie den Frühling rühren: »Sieh doch
     nur, welch schönes Land da liegt und auf dich wartet! Willst du uns denn nicht zu Hilfe kommen? Willst du den Winter wirklich
     noch lange seinen Druck auf diese schönen Gegenden legen lassen?«
    So lange der Gesang währte, stand Niels Holgersen da und lauschte, als er aber verstummte, eilte er an Land. Ganz am Ende
     der Bucht war das Eis aufgetaut, aber da waren viele Sandbänke, so daß er doch glücklich nach einem Feuer hinüber gelangte,
     das am Ufer selbst lag. Mit großer Vorsicht schlich er so nahe heran, daß er die Menschen sehen konnte, die um das Feuer saßen
     undstanden; er konnte sogar hören, was sie sagten. Und wieder mußte er sich verwundern, was es wohl sein könne, das er sah,
     und er fragte sich, ob es wohl etwas anderes sei als eine Vision. Nie zuvor hatte er Menschen so gekleidet gesehen. Die Frauen
     hatten schwarze spitze Mützen auf dem Kopf, sie trugen kleine, weiße Pelzjacken, rosa Tücher um den Hals, grünseidene Taillen
     und schwarze Röcke, deren Vorderbahn mit weißen, roten, grünen und schwarzen Streifen quer durchzogen war. Die Männer hatten
     runde, niedrige Hüte, blaue Röcke mit rotumrandeten Säumen, gelbe Lederhosen, die bis an die Knie reichten und mittels roter,
     mit Quasten verzierter Strumpfbänder befestigt waren. Er wußte nicht, ob die Kleidung allein schuld daran war, aber er fand,
     die Leute hier sahen ganz anders aus als anderswo, viel vornehmer und stattlicher. Er hörte, daß sie miteinander sprachen,
     aber lange konnte er nichts verstehen. Er mußte an die seinen Trachten denken, die seine Mutter in ihrer Truhe hatte, und
     die niemand seit undenklichen Zeiten mehr hatte tragen wollen, und ihm kam der Gedanke, ob dies nicht etwa Leute aus der Vergangenheit
     seien, die in den letzten hundert Jahren nicht lebend auf der Erde gewandelt waren. Aber das war nur so ein Gedanke, der ihm
     durch den Kopf flog und gleich wieder weghuschte, denn er sah sehr wohl, daß es lebende Menschen waren, die er hier vor sich
     hatte. Die Sache war die, daß die Bevölkerung um den Siljansee in Sprache und Kleidung und im Wesen mehr von entschwundenen
     Zeiten bewahrt haben, als die Bewohner anderer Gegenden. Daher war er auf solche Gedanken gekommen.
    Der Junge bemerkte sofort, daß die Leute, die um das Feuer saßen, von alten Zeiten redeten. Sie erzählten, wie es ihnen in
     ihren jungen Jahren ergangen war, als sie lange Wege nach anderen Landschaften wandern mußten, um denen daheim durch ihre
     Arbeit Brot zu verschaffen. Er hörte mehrere Erzählungen, aber am besten entsann er sich später dessen, was eine alte Frau
     erlebt hatte.
Moor-Kirstens Geschichte.
    »Vater und Mutter hatten einen kleinen Hof in Ostbürka, aber wir waren viele Geschwister, und die Zeiten waren schwer, so
     sah ich mich denn mit sechzehn Jahren genötigt, von Hause fortzugehen. Wir zogen von dannen, zwanzig junge Leute aus Rättvik.
     Es war im Jahre 1845, am 16. April, als ich zum ersten Mal nach Stockholm ging. In meinem Beutel hatte ich einige Brote, ein
     Kalbsvorderblatt und ein wenig Käse. Die ganze Reisekasse betrug vierundzwanzig Schilling. Die anderen Vorräte, die ich mitbekommen,
     hatte ich in den ledernen Sack gelegt, den ich mit einem Arbeitsanzug auf einem Bauernwagen vorausgeschickt hatte.
    So gingen wir denn alle zwanzig den Weg nach Falun. Wir pflegten fünf, sechs Meilen am Tage zurückzulegen, und wir erreichten
     Stockholm nach sieben Tagen. Das war etwas

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