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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Landes hinaus, wo Felsklippen und Berggrate abwechselten, und die überall mit dunklen
     Wäldern bedeckt waren. Es war nichtleicht, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden, bald aber konnte er nicht darüber in Zweifel sein, wo er sich befand.
    ›Ja, wahrlich,‹ dachte er, ›wahrlich, dies ist der Blacksaas, den ich hinanreite; es kann nicht anders sein. Nach Westen zu
     sehe ich den Järsüflack liegen und im Osten schimmert das Meer da draußen bei Agö. Nach Norden zu sehe ich auch etwas, das
     glitzert. Das ist gewiß der Del. Und hier tief unter mir sehe ich den weißen Schaumgischt des Niamfoß. Ja, ich bin auf den
     Blacksaas hinaufgekommen. Das ist wahrlich ein Abenteuer!‹
    Als sie auf den Gipfel des Berges hinaufkamen, blieb das Pferd hinter einer buschigen Tanne stehen, als wenn es sich da verbergen
     wolle. Der Propst beugte sich vor und bog die Zweige auseinander, so daß er eine freie Aussicht hatte.
    Der kahle, flache Gipfel des Berges lag vor ihm ausgebreitet, aber es war dort nicht öde und leer, so wie er es sich gedacht
     hatte. Mitten auf dem offenen Platz lag ein großer Felsblock, und ringsherum war eine große Schar von Tieren versammelt. Es
     wollte dem Propst scheinen, als seien sie dahingekommen, um eine Art Ting abzuhalten.
    Dem großen Stein zunächst sah der Propst die Bären, stark und schwer gebaut, so daß sie pelzbekleideten Felsblöcken glichen.
     Sie hatten sich hingelegt und blinzelten ungeduldig mit ihren kleinen Augen. Man konnte deutlich sehen, daß sie eben aus dem
     Winterschlaf aufgestanden waren, um zum Ting zu gehen, und daß es ihnen schwer wurde, sich wach zu halten. Hinter ihnen saßen
     einige hundert Wölfe in dichten Reihen. Sie waren nichtschläfrig, sondern mitten in dem winterlichen Dunkel viel lebhafter als jemals im Sommer. Sie saßen auf den Hinterfüßen wie
     Hunde, peitschten den Boden mit dem Schwanz und schnappten nach Luft, während ihnen die Zunge lang zum Rachen heraushing.
     Hinter den Wölfen schlichen die Luchse herum, steifbeinig und ungeschlacht, gleich großen, mißgestalteten Katzen. Sie schienen
     den anderen Tieren gegenüber scheu zu sein und fauchten, wenn jemand in ihre Nähe kam. In der Reihe hinter den Luchsen sah
     man die Vielfraße, die ein Hundegesicht und einen Bärenpelz hatten. Sie fühlten sich nicht wohl auf dem Erdboden, sondern
     stampften ungeduldig mit ihren breiten Füßen und sehnten sich danach, in die Bäume hinaufzukommen. Und wiederum hinter diesen,
     auf dem ganzen freien Platz bis an den Waldessaum wimmelte es von Füchsen, Wieseln, Mardern, klein und niedlich von Gestalt,
     aber mit noch wilderen und blutdürstigeren Augen als die größeren Tiere.
    Der Propst konnte alle diese Tiere ganz deutlich sehen, denn der ganze Platz war erhellt. Auf dem hohen Stein in der Mitte
     stand nämlich der König des Waldes und hielt eine Fichtenfackel in der Hand, die mit einer hohen, roten Flamme brannte. Der
     König des Waldes war so groß wie der höchste Baum im Walde, er trug einen Mantel aus Tannenzweigen, und seine Haare waren
     aus Tannenzapfen. Er stand ganz still, das Gesicht dem Walde zugewendet. Er spähte und lauschte.
    Obwohl der Propst das Ganze deutlich sah, war er so erstaunt, daß er sich förmlich dagegen sträubte und seinen Augen nicht
     recht trauen wollte. ›Dies ist ja ganzunmöglich,‹ dachte er. ›Ich muß nicht recht bei Verstand sein. Ich bin zu lange in dem dunklen Walde umhergeritten. Meine
     Phantasie ist mit mir durchgegangen.‹
    Trotzdem beobachtete er alles mit der größten Aufmerksamkeit und wartete in Spannung auf das, was er zu sehen bekommen würde
     und was sich hier ereignen sollte.
    Es vergingen nur ein paar Minuten, da vernahm er vom Walde her das Klingeln einer kleinen Kuhglocke. Und gleich darauf hörte
     er von neuem das Geräusch von Schritten und von knackenden Zweigen, als bahne sich ein großes Rudel von Tieren den Weg durch
     die Wildnis.
    Es war eine große Schar Haustiere, die dahergewandert kamen. Sie gingen in derselben Ordnung, wie wenn sie sich auf dem Wege
     zur Alm hinaus befanden. Zuerst kam die Glockenkuh, dann der Stier, darauf kamen die anderen Kühe, und den Beschluß machten
     das Jungvieh und die Kälber. Dann folgten die Schafe in einer dichten Herde, dann die Ziegen und zu allerletzt ein paar Pferde
     und Füllen. Der Hirtenhund ging neben der Herde, aber da war weder ein Hirtenjunge noch eine Sennerin bei dem Vieh.
    Es schnitt dem Propst ins Herz, als er

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