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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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machte er
     eine Bewegung, als wolle er es für den Tod kennzeichnen.
    Im selben Augenblick aber hob der Propst die Agende in die Höhe, und der Fackelschein fiel auf das Kreuz, das den Einband
     des Buches zierte. Der Waldkönig stieß einen lauten, gellenden Schrei aus, die Fackel entfiel seiner Hand und lag am Erdboden.
    Die Flamme erlosch augenblicklich, und in dem plötzlichen Übergang von Licht und Dunkel konnte der Propst nichts sehen. Er
     hörte auch nichts. Rings um ihn her herrschte dasselbe tiefe Schweigen wie immer im Winter in der Wildnis.
    Da teilten sich plötzlich die schweren Wolken, die denHimmel bedeckten, und durch den Riß trat der Vollmond und warf seine Strahlen auf die Erde herab. Und nun sah der Propst,
     daß er und das Pferd ganz allein auf dem Gipfel des Blacksaasen standen. Nicht ein einziges von den wilden Tieren war mehr
     da. Die Erde war zerstampft von den vielen Viehherden, die darüber hingewandert waren. Er selbst aber saß da, die Agende in
     den ausgestreckten Händen, und das Pferd, das ihn trug, zitterte und war in Schweiß gebadet.
    Als der Propst wieder den Berg hinabgeritten war und auf seinem Hof anlangte, wußte er nicht recht, ob das, was er gesehen
     hatte, ein Traum gewesen war oder eine Vision oder Wirklichkeit. Daß es aber eine Mahnung für ihn war, an das arme Vieh zu
     denken, das sich in der Gewalt der wilden Tiere befand, das verstand er. Und er predigte den Bauern von Delsbo so nachdrücklich,
     daß zu seiner Zeit alle Wölfe und Bären hier im Kirchspiel ausgerottet wurden, – wenn sie auch vielleicht zurückgekommen sein
     können, nachdem er heimgegangen war.«
    Hier endete Bernhard seine Geschichte. Alle fanden, daß sie ausgezeichnet war, und es schien eine abgemachte Sache, daß er
     den Preis bekommen würde. Die meisten fanden, daß Klement zu bedauern sei, weil er den Wettstreit mit Bernhard aufnehmen sollte.
    Klement aber begann unverzagt: »Eines Tages ging ich auf Skansen vor Stockholm und hatte Heimweh,« sagte er, und dann erzählte
     er von dem Männlein, das er freigekauft hatte, damit es nicht in einen Käfig gesperrt und wie ein wildes Tier zur Schau gestellt
     werden solle. Und er erzählte weiter, wie er kaum diese gute Tat getan hatte,als er auch schon dafür belohnt wurde. Er erzählte und erzählte, und das Staunen der Zuhörer wuchs beständig und als er schließlich
     bis zu dem königlichen Lakai und dem schönen Buch kam, ließen alle Sennerinnen ihre Arbeit in den Schoß sinken und starrten
     unbeweglich Klement an, der so merkwürdige Dinge erlebt hatte.
    Sobald Klement geendet hatte, sagte die Sennerin, er solle das Halstuch haben. »Bernhard hat etwas erzählt, was ein anderer
     erlebt hat, Klement aber hat selbst ein wirkliches Abenteuer erlebt, und das scheint mir mehr zu sein,« sagte sie.
    Darin stimmten sie alle mit ihr überein. Sie betrachteten Klement nun, wo sie erfahren hatten, daß er mit dem König geredet
     hatte, mit ganz andern Augen als bisher, und der kleine Spielmann wagte kaum zu zeigen, wie stolz er sich fühlte. Aber mitten
     in der großen Begeisterung fragte ihn plötzlich jemand, was er denn mit dem kleinen Wicht gemacht habe.
    »Ich hatte keine Zeit, ihm den blauen Napf selbst hinzustellen;« sagte Klement. »Aber ich habe den alten Lappen gebeten, es
     zu tun. Was später aus ihm geworden ist, weiß ich nicht.«
    Kaum hatte Klement dies gesagt, als ein kleiner Tannenzapfen geflogen kam und ihn an die Nase traf. Er kam nicht aus den Bäumen,
     und er kam auch nicht von einem Menschen. Es war nicht zu begreifen, woher er kam.
    »Ha, ha, Klement!« lachte die Sennerin. »Es scheint, daß die Männlein hören, was wir sprechen. Ihr hättet es gewiß nicht einem
     andern überlassen sollen, ihm das Essen in dem blauen Napf hinzustellen!«

XL. In Medelpad
    Freitag, 17. Juni.
    Am nächsten Morgen waren der Adler und Niels Holgersen in aller Frühe unterwegs, und Gorgo hoffte, daß er an diesem Tage weit
     nach Västerbotten hinaufkommen würde, aber da geschah es, daß er den Jungen zu sich selbst sagen hörte, in so einem Lande
     wie dies, über das er nun hinfliege, müsse es doch für Menschen unmöglich sein zu leben.
    Das Land, das unter ihnen lag, war das südliche Medelpad, und sie sahen nicht das Geringste weiter als wilde Wälder, Sobald
     aber der Adler hörte, was Niels sagte, rief er sofort: »Hier oben ist der Wald der Acker!«
    Der Junge dachte darüber nach, welch großer Unterschied doch sei

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