Niemand lebt von seinen Träumen
Sie wiegten sich im Walzer, sie sahen sich tief in die Augen und blickten zur Seite, wenn sie bemerkten, daß in diesen Augen ein Schatten lag.
Kurz bevor sie nach Hause gingen, sagte Susanne zu Frank:
»Ich fahre morgen in die Berge.«
»Morgen?« Er spürte, wie es in seinem Hals würgte.
»Ja, morgen. Ich habe da eine Tante in Garmisch, die wollte schon immer, daß ich mal zu ihr komme. Ich habe ihr geschrieben, daß ich sie besuchen will. An der Universität ist sowieso nicht mehr viel los, so daß ich nichts verpasse.«
»Garmisch ist schön«, sagte Frank stockend. »Ich war dort einmal Skifahren. Da habe ich mir den linken Knöchel angeknackst und mußte drei Wochen mit einem Gipsbein herumhumpeln. Sah sehr zünftig aus, dieser Gips. Ich habe es fast bedauert, als er abgenommen und ich wieder zu einem normalen Menschen wurde, den keiner mehr bestaunte.«
»Sicher hast du Märchen erzählt von gefahrvollen Abfahrten und so …«
»Natürlich. Das gehört doch zu einem Gipsverband«, lachte Frank gequält.
Er brachte Susanne an die Haltestelle und hielt ihre Hand fest, ganz fest, bis er die Straßenbahn von weitem kommen sah.
»Susanne«, würgte er hervor. »Liebling …«
»Ich werde dir aus den Bergen auch schreiben.«
»Tu das, Susanne.«
»Und wenn es ganz, ganz schön ist, werde ich an dich denken und mir wünschen, daß du bei mir wärst …«
Da riß er sie an sich, drückte sie fest an seine Brust. Er küßte sie – die Augen, die Nase, den Mund, die Haare. »Liebling …«, stammelte er. »Ich bin ein verdammter Feigling. Ich fahre nicht. Nein! Ich bleibe hier. Ich sage alles ab! Ich gebe dich nicht her! Ich kann es nicht, ich kann es nicht …«
Die hell erleuchtete Straßenbahn hielt quietschend. Der Schaffner, an Abschiedsszenen um diese Stunde gewöhnt, rief leutselig: »Einsteigen! Schluß machen, Kinder!«
»Leb wohl, Frank«, sagte Susanne leise. »Und – und vergiß mich nicht ganz …«
Sie riß sich los, sprang auf das Trittbrett und stürzte in das Innere der Straßenbahn. Der Schaffner klingelte ab – kreischend fuhr der Wagen an.
Da streckte Frank die Arme aus und rief aus:
»Susanne! Susanne!« Er rannte neben der Bahn her, um sie noch zu sehen – sie saß in eine Ecke gedrückt, die Hände vor das Gesicht geschlagen und schluchzte. Die Bahn fuhr schneller – er kam nicht mit, das Bild ratterte davon – er blieb stehen, winkte, obwohl er wußte, daß sie es nicht sah – die Bahn wurde ein heller Fleck in der Nacht, der sich entfernte und immer kleiner wurde – schließlich war nur noch die Dunkelheit um ihn, und er stand allein auf der menschenleeren Straße.
Allein, durchzuckte es ihn. Von jetzt ab wird es einsam um mich sein, einsam inmitten der Millionenstadt Cleveland, der Millionen Menschen der USA. Und nur ein paar Seiten Papier, beschrieben mit viel, viel Sehnsucht werden das einzige sein, was ich ab und zu von Susanne bekomme und in der Brieftasche auf der Brust mit mir tragen werde. Aber ich werde um sie kämpfen, werde nach Washington fahren, ich werde alles in Bewegung setzen, was in Amerika möglich ist, damit sie nachkommt. Ich werde vordringen bis zum Präsidenten und ihn bitten, Susannes wegen das Quotensystem der Einwanderungsbestimmungen zu ändern. Ich werde … ich werde …
Er fühlte, wie ihn die Kälte der Nacht ergriff. Schauernd knöpfte er seinen Trenchcoat zu und wandte sich ab.
Die Hände in den Taschen vergraben, wanderte er zurück durch die stillen Straßen. Die Hängelampen pendelten im Wind und verstreuten karges Licht über den Asphalt.
Ein Taxi hielt plötzlich unmittelbar neben ihm. Der Fahrer sah ihn herausfordernd an.
»Ham'se mir gewinkt?« frage er keck.
»Das nicht; aber es ist gut, daß Sie halten.«
»Und wo jeht et hin?«
Frank zögerte einen Augenblick. Dann sagte er: »Fahren Sie mich an den Rhein, in irgendein Weinlokal. Ich muß heute etwas vergessen …«
»Dann steigen Se mal ein.« Der Taxifahrer riß die Tür auf. »Am Ring jibt et jute Lokale, wo man einen hinter de Binde jießen kann …«
Das Auto fuhr an.
Frank saß im Fond. Er dachte an seine Braut.
Und er brachte den Schlager nicht aus seinem Kopf; die Melodie, die heute abend im Film Margot Hielscher mit ihrem dunklen, sehnsuchtsvollen Timbre gesungen hatte:
»Schau in meine Augen,
tief in meine Augen,
dann wirst du dein Bild darinnen sehen …«
3
Susanne war fest entschlossen, für längere Zeit zu ihrer Tante nach Garmisch zu fahren,
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