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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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wirbelte weiße Staubwölkchen auf und pfiff und
seufzte in den Rissen und Spalten der Türme. Die Tuffsteinformationen waren
tatsächlich so schön, wie ich erwartet hatte, aber sie wirkten auch grotesk und
unheimlich. Mir fuhr jedenfalls ein Schauer über die Schulterblätter, der nicht
vom Wind kam.
    Wie ein Kind, das den Zauberwald im
Märchen betritt, begann ich meine Wanderung durch den Tuffwald. Als ich einen
Stein berührte, der wie ein hockender Gnom aussah, scheuerte die kalkige
Oberfläche an meiner Haut. Ich zog die Hand schnell zurück, als hätte ich mich
verbrannt. Aber dann lachte ich über meine übertriebene Reaktion. Das Echo
hallte von allen Seiten zurück — hoch, hohl und viel zu laut in dieser weiten
Stille.
    Das Ufer war bald erreicht. Die Sonne
war schnell hinter der westlichen Bergkette untergegangen, und das Wasser war
jetzt indigoblau, von blaß-pinkfarbenen Streifen durchzogen. Wasservögel schaukelten
auf der gekräuselten Oberfläche und waren in der zunehmenden Dunkelheit bloß
noch als Silhouetten erkennbar. Die Inseln draußen im See hoben sich wie
dunkle, turmbewehrte Burgen gegen den Himmel ab.
    Ich kniete mich hin und tauchte die
Finger in den See. Er war eiskalt. Ich zog sie wieder heraus und hielt sie an
die Zunge. Sie schmeckten sehr salzig und bitter. Ich stand auf, sah mich um
und versuchte mir vorzustellen, wie die Landschaft wohl ausgesehen haben
mochte, bevor der Mensch mit seinem typischen Mangel an Weitblick damit
begonnen hatte, das Wasser der Zuflüsse abzuleiten. Wo ich stand, mußte der
Seeboden gewesen sein. Alle Tuffsteingebilde rundum hatten sich unter Wasser
befunden, und das Ufer war irgendwo draußen am äußeren Rand der Kalisalz-Ebene
gewesen —
    Bei meinem Rundblick nahm ich eine
rasche Bewegung etwa fünfzehn Meter entfernt neben einem buckligen Riesenstein
wahr. Ich spähte hinüber, sah aber nichts in dem schnell abnehmenden
Tageslicht. Zuerst hörte ich nur das Seufzen und Klagen des Windes. Dann kam
ein anderer Laut hinzu — sich eilig über den weichen, pulvrigen Grund
entfernende Schritte.
    Ich rannte um den Stein herum. Sah
niemanden, nur ein noch größeres Gebilde, das mir total den Blick versperrte.
Die Schritte waren nicht mehr zu hören. Nur die Disteln und der Beifuß bewegten
sich, bogen sich im Wind.
    Ich runzelte die Stirn und sagte mir,
daß ich wohl über eine allzu blühende Phantasie verfügte. Dann hörte ich die
Tritte wieder. Sie kamen jetzt weiter westlich aus dem steinigen Labyrinth.
    Ich lauschte, bis die Laute erstarben.
Als ich eine ganze Minute lang nichts weiter hörte als die Stille, zuckte ich
mit den Schultern und machte mich auf den Weg zurück zu meinem Wagen.
Vielleicht ein Wanderer, dachte ich, der hergekommen war, um die Einsamkeit zu
genießen, und überrascht feststellen mußte, daß noch jemand anders die Gegend
unsicher machte. Vielleicht einer von den Leuten, die laut Mrs. Wittington
»verdammt in Ruhe gelassen werden wollen«. In einer Gegend wie dieser —
    Das Aufheulen eines Motors zerriß die
Stille.
    Zuerst wußte ich nicht, woher es kam.
Dann merkte ich, es kam von Westen, also aus der Richtung, in der Schritte
verklungen waren. Ein eckiges Fahrzeug — ein Gelände- oder Lieferwagen? — schoß
hinter einem Stein hervor und raste über die Ebene zur Einmündung der
unbefestigten Straße in den Highway. Es fuhr ohne Scheinwerfer. Nicht einmal
mit Standlicht.
    Ich rannte zu meinem Wagen. Aber als
ich ihn erreichte, war das andere Fahrzeug schon nach Norden auf den Highway
eingebogen. Eine Verfolgung war zwecklos. Wozu auch? Wer immer mich im Schutz
des Tufa-Turms beobachtet hatte, hatte nichts Bedrohliches oder Verbotenes
getan. Und was immer ihn hatte flüchten lassen, es hatte wahrscheinlich nichts
mit mir zu tun.
    Oder war diese Angelegenheit, um die
ich mich hier für Anne-Marie kümmern sollte, ernsterer Natur, als ich
angenommen hatte?
     
    Zelda’s war eine Mischung aus Taverne
und Restaurant. Es war ein gewaltiges, architektonisch belangloses Gebäude aus
ästigem Kiefernholz, das auf der Spitze der Landzunge lag. Da es inzwischen
dunkel geworden war, hatte man die rotgoldene Neonschrift auf dem Dach
eingeschaltet. Der Parkplatz füllte sich schnell mit Personenwagen, Jeeps und
Lieferwagen. Nachdem ich in der Stadt kein anderes Restaurant entdeckt hatte,
war dies wohl Vernons offizieller Treffpunkt.
    In dem höhlenartigen Inneren des Hauses
mit seinen freiliegenden Dachbalken ging es laut zu.

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