Night School 03 - Denn Wahrheit musst du suchen
und reckte gebieterisch das Kinn, wie um Isabelles angeborenen Stolz zu imitieren. »Kann ich dir vielleicht weiterhelfen?«
Ja
, dachte Allie finster,
du könntest mir zum Beispiel verraten, was zum Teufel du in Isabelles Büro zu suchen hast, wenn sie nicht da ist.
Doch das sagte sie nicht.
»Nein … nein. Ich muss was mit ihr bereden«, sagte sie stattdessen so beiläufig wie möglich. »Weißt du … also … wann sie wieder zurückkommt?«
»Sie ist nach dem Unterricht zu einer Sitzung nach London gefahren. Sie kommt erst spät am Abend zurück.« Eloise warf einen Blick auf ihre Uhr und sah Allie prüfend an. »Bist du sicher, dass ich dir nicht helfen kann?«
»Ja, danke.« Hastig trat Allie einen Schritt zurück und stieß sich an der Unterkante des Treppenaufgangs. »Aua.« Sie rieb sich den Kopf, ohne Eloise aus den Augen zu lassen. »Ich … äh … glaub, ich komm später noch mal her. Morgen oder so.« Betont langsam durchquerte sie den Flur und sammelte ihre Bücher ein, als ob nichts wäre. Und die ganze Zeit war sie sich bewusst, dass Eloise jede ihrer Bewegungen genau beobachtete.
[zurück]
Elf
Am selben Abend schleppte Allie sich schweren Schrittes durch den Kellerflur zum Übungsraum Eins.
Sie fühlte sich bedrückt, so als ob jemand an ihr zerren und sie zurückhalten würde.
Sie wollte nur eins: Irgendjemandem von der ganzen Sache erzählen, doch jedes Mal, wenn sie zu einer Erklärung ansetzte, kam es ihr verrückt vor.
Hey. Also, gestern Abend hab ich mir eingebildet, ich hätte Gabe draußen rumlaufen sehen, aber ich hab mich wohl getäuscht, und dann ist da noch Eloise in Isabelles Büro eingebrochen, obwohl die nicht da war. Aber hey, ich hab noch alle Tassen im Schrank, macht euch bloß keine Sorgen. Schließlich hab ich für meinen Geschichtsaufsatz eine Zwei bekommen.
Als sie den Übungsraum erreichte, waren Nicole und Zoe schon da und machten sich weiter hinten im Raum warm. Allie gesellte sich zu ihnen, hatte aber kaum die Gelegenheit, ein paar Worte zu wechseln, weil plötzlich Eloise zu ihnen trat. Sie sah aus, als wäre nichts gewesen.
»Wie geht es dir heute?«, fragte die Trainerin ernsthaft besorgt. »Tut das Knie noch weh?«
»Ein bisschen.« Allie konnte sich nicht überwinden, Eloise in die Augen zu schauen.
»Wir lassen es heute ein wenig langsamer angehen. Aber gut zu wissen, dass dein Knie das gestrige Training verkraftet hat.« Eloise lächelte, als würde sie sich aufrichtig freuen. »Du machst Fortschritte.«
Während sie sich wie gewohnt aufwärmte, behielt Allie Eloise im Auge, doch die wirkte völlig normal, lachte über Nicoles Scherze und achtete stets darauf, ob Allie mithalten konnte.
Falls sie der Spion war und glauben musste, sie sei gerade enttarnt worden, dann verbarg sie es verdammt gut.
Das alles stürzte Allie in einen Gewissenskonflikt. Vielleicht gab es ja eine sehr gute Erklärung dafür. Wahrscheinlich würde sich alles auflösen, sobald sie mit Isabelle sprechen konnte – doch die Rektorin war noch immer nicht zurückgekehrt.
Nach einem kurzen Aufwärmtraining trat Zelazny in die Mitte des Raums. »Wir fangen an mit einem Sechs-Kilometer-Wettlauf.«
Zoe, die eine begeisterte Läuferin war, machte vor Freude einen Luftsprung.
»Wurde auch Zeit«, zwitscherte sie vor sich hin.
Allie, die überhaupt keine Lust auf ein Wettrennen hatte, war konsterniert. Wer bei diesen Wettläufen als Letzter ins Ziel kam, wurde gewöhnlich mit einem kurzen Arrest oder Sondertraining bestraft. Die Strafe war mild, aber die Demütigung groß.
Doch als Zelazny zu Ende gesprochen hatte, nahm Eloise die Mädchen beiseite.
»Tut mir leid für dich, Zoe«, sagte sie und lächelte die Kleine an, »aber du wirst heute etwas langsamer machen müssen. Allie kann noch nicht wieder so schnell laufen, und ganz bestimmt keine sechs Kilometer.«
»Och nee!«, maulte Zoe.
Eloise schärfte ihren Begleiterinnen strengstens ein, dass Allie immer wieder Ruhepausen werde einlegen müssen und keinesfalls mehr als drei Kilometer schaffen könne.
»Wenn ihr weiterlaufen wollt«, schärfte sie Zoe und Nicole ein, »dann bringt ihr Allie erst hierher zurück. Unter keinen Umständen lasst ihr sie unbeschützt da draußen.«
Das Wort »unbeschützt« verblüffte Allie – zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass Zoe und Nicole so etwas wie ihre Leibwächter waren. Aber das ergab Sinn. Man hatte ihr statt des üblichen einen zwei Partner zur Seite gestellt, beide schnelle
Weitere Kostenlose Bücher