Night School. Der den Zweifel sät (German Edition)
selbst. »Ich hab davon nichts mitbekommen.«
»Tja«, sagte Allie. »Vielleicht reden sie mit dir ja nicht mehr über mich, weil sie wissen, dass wir befreundet sind.«
Rachel winkte ab. »Schon, aber ich hab meine Lauscher überall.«
»Damit bist du jetzt das prominenteste Mitglied des Schuladels«, stellte Zoe nüchtern fest. »Prominenter als Sylvain.«
Allie sah zu Rachel. »Meinst du, das lässt sich noch vermeiden, dass das in der ganzen Schule bekannt wird?«, fragte sie hoffnungsvoll, doch Rachels Blick ermahnte sie, diese Hoffnung fahren zu lassen.
»Tut mir leid, Süße. Du bist geoutet.« Rachel streckte die Beine unter der Decke aus. »Und jetzt erzählt mir, was noch war. Hat Pru wieder ihre Titten rausgeholt? Die ist ja so was von berechenbar …«
Hocherhobenen Hauptes und die Augen geradeaus gerichtet, betrat Allie spät am nächsten Morgen den halb leeren Speisesaal. Sie suchte sich einen Tisch in einer abgelegenen Ecke, zog ein Buch aus der Tasche und tat so, als würde sie lernen, während sie ihr Müsli aß. Sie spürte die Blicke, hörte das Tuscheln. Sie hätte nicht sagen können, wie viel davon echt war und wie viel sich nur in ihrer Vorstellung abspielte, aber was machte das schon. Der Effekt war der gleiche.
Sie wollte gerade den Löffel zum Mund führen, als sich plötzlich jemand ihr gegenüber setzte.
»Allie.« Widerstrebend schaute sie auf und begegnete Jos blauen Augen, die heute umwölkt und ernst aussahen. »Ich glaube, wir müssen mal miteinander reden.«
Mist.
Allie legte den Löffel hin und hielt die Teetasse vor sich wie einen Schild. »Aber immer«, sagte sie so gleichgültig wie möglich. »Was gibt’s?«
»Wieso hast du mir nicht erzählt, wer du wirklich bist?«
Allie ließ den Kopf sinken, bis das Kinn ihre Brust berührte.
Und das ist nur der Anfang.
»Es stimmt doch, oder?« Die Kränkung in Jos Stimme war unüberhörbar.
Allie nickte, und Jo schnappte nach Luft. »Na toll! Und warum hast du mir das nie erzählt, Allie? Immerhin gehöre ich zu deinen besten Freunden.«
»Ich hab’s doch selbst nicht gewusst, bis ich im Sommer nach Hause gefahren bin«, antwortete Allie, obwohl sie ahnte, wie unglaubwürdig das klang, wie sehr nach Lüge. »Und dann hab ich versprochen, nichts zu sagen.«
»Aber manchen Leuten hast du es schon gesagt, stimmt’s?«, sagte Jo anklagend. »Rachel zum Beispiel, und Carter.«
»Nur denen, denen ich es erzählen musste. Nur ganz wenige wissen es.«
»Ganz wenige«, sagte Jo. »Aber ich nicht.«
»Bitte, Jo, es war nicht persönlich gemeint. Ich wollte nicht, dass irgendwer davon erfährt, bis …«
Doch Jo hatte keine Lust auf Allies Erklärungen. »Freut mich, dass es nicht persönlich gemeint war.« Quietschend fuhr sie ihren Stuhl nach hinten und erhob sich mit angespannten Schultern. »Ganz toll!«
Sie stapfte davon, und Allie ließ den Kopf in die Hände fallen.
Und so geht das jetzt den ganzen Tag weiter
, dachte sie verdrießlich.
Bis vor Kurzem hätte sie sich in so einer Situation zu Carter geflüchtet. Sie hätten sich irgendein stilles Plätzchen gesucht, wo sie allein sein konnten, und er hätte sie vor den schlimmsten Zudringlichkeiten der anderen bewahrt. Doch damit war es jetzt ja vorbei.
Sie musste selbst zusehen, wie sie klarkam.
Ihr Weg durch den großen Flur führte durch eine Wolke aus Flüstern, neugierigen Seitenblicken und offenem Geglotze.
Schließlich zog sie sich in die Bibliothek zurück, wo dicke Orientteppiche den Lärm des Getuschels schluckten. Eloise saß an ihrem Tisch und las, einen Stift in der Hand, in einem Schriftstück.
»Kann ich in einer der Studierzellen arbeiten?« Allie versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen, als wäre dieser Wunsch ganz alltäglich.
»Im Prinzip sind die nur für Schüler, die für ihren Abschluss lernen«, setzte die Bibliothekarin an. Doch als sie Allies verzweifelten Gesichtsausdruck sah, überlegte sie es sich anders. »Und natürlich für tüchtige Schüler, die mitgeholfen haben, nach dem Brand die Bibliothek zu säubern.«
Aus einer Schublade holte sie einen kleinen Schlüssel, der an einem Silberring hing. »Die dritte Zelle ist frei. Du kannst sie haben, so lange du möchtest.«
»Danke«, sagte Allie erleichtert. Der Bibliothekarin war wohl nicht entgangen, dass Allie ein Riesenstein vom Herzen gefallen war, denn sie betrachtete sie mit Sorge.
»Alles in Ordnung?«
»Nein«, erwiderte Allie und wandte sich ab. »Nichts ist in
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