Night School. Der den Zweifel sät (German Edition)
Ordnung.«
Den Schlüssel ausgehändigt zu bekommen, erwies sich als Kinderspiel, verglichen mit der Aufgabe, den Zugang zur Studierzelle zu finden. Die Türen waren so raffiniert in die reich geschnitzten Eichenpaneele der Bibliothek eingefügt, dass sie buchstäblich unsichtbar waren. Nirgendwo war eine Fuge zu entdecken. Allie fuhr die Karrees, Eicheln und Rosen entlang, bis sie schließlich doch einen geraden Spalt ertastete, bei dem es sich um eine Türöffnung handeln musste. Langsam arbeitete sie sich die Wand entlang und fand einen weiteren Spalt, den sie der dritten Tür zuordnete.
Jetzt musste sie nur noch das Schloss finden.
Als sie es nach langem Suchen schließlich in der Mitte einer Rose entdeckte, war sie frustriert und sauer. Sauer auf sich selbst. Sauer auf Carter und Sylvain. Total sauer auf Katie. Und stinksauer auf diese bescheuerte Vertäfelung.
Die Tür öffnete sich mit einem fast unhörbaren Klicken. Allie betätigte den Lichtschalter, und der Raum erwachte zum Leben: Die leuchtenden Farben des Wandgemäldes bildeten ein Panorama des Zorns ab, das genau zu ihrer Stimmung passte.
Das Wandbild zeigte Menschen am Ufer eines Baches, der durch ein grünes Feld floss. In Schlachtaufstellung standen sie einander mit gezückten Schwertern und Spießen gegenüber. Am düsteren, von Wolken aufgewühlten Himmel richteten finster dreinblickende Engel grausam aussehende goldene Bögen und Pfeile auf den Betrachter. Die Menschen schrien aufeinander ein.
Mit einem dumpfen Schlag pfefferte Allie ihre Tasche zu Boden und lief, sich die Haare raufend, in dem kleinen Raum auf und ab. »Was soll ich bloß tun?«, murmelte sie vor sich hin. »Wie soll ich damit umgehen?«
Sie ließ sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen und legte den Kopf auf die Arme.
Alles läuft schief.
Wie hatte Katie die Sache mit Lucinda herausgefunden? Weder Isabelle noch Rachel, noch Carter hätten ihr das verraten – und das waren die Einzigen, die davon wussten.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre sorgenvollen Gedanken.
Eloise
, dachte sie,
oder vielleicht einer von den älteren Schülern, der den Raum braucht.
Sie legte sich eine passende Erklärung zurecht und öffnete die Tür. »Eloise, ich bin doch erst fünf Minu…«
Als sie Carter erkannte, brach sie ab. So nah war sie ihm seit dem Abend, an dem sie Schluss gemacht hatten, nicht mehr gewesen. Ihn zu sehen, war irgendwie alles, was sie wollte, und zugleich das, was sie jetzt zuallerletzt gebrauchen konnte. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte sie, ob er ihr vielleicht auf wundersame Weise vergeben hatte und alles wieder so sein würde wie einst. Dann sah sie den erschöpften Ausdruck in seinen dunklen Augen, und sie wusste, dass das ein Traum bleiben würde.
Während sie ihn noch benommen ansah, wies er in die Studierzelle. »Kann ich reinkommen, oder willst du hier stehen bleiben?«
Die Ungeduld in seiner Stimme erschütterte sie, und sie wich abrupt zur Seite. »Entschuldige. Komm rein.«
Während er an ihr vorbeiging, sah er sich in dem Raum um. Er bemerkte die Tasche, die sie zuvor auf den Boden geschmissen hatte und aus der Bücher und Papiere herausgerutscht waren, und betrachtete dann das Wandgemälde des Zorns. »Wie passend«, sagte er und ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen.
Seine dunklen Haare fielen ihm vorn über die Brauen; mit der abwesenden Geste, die Allie immer so gemocht hatte, schob er sie zurück. Kurz dachte sie, ihr würde das Herz zerspringen, wie Glas, das an einem Stein zerschellt. Doch dann schlug es einfach weiter, warum auch immer.
Unsicher stand sie mit dem Rücken zur Tür und atmete tief durch. Seine Augen flackerten, als er zu ihr hochsah. »Ich dachte, wir sollten uns mal unterhalten.«
Seine ruhige und zugleich distanzierte Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie ging zurück zum Tisch und nahm gegenüber von Carter Platz.
»Wie … Wie geht es dir?« Eine idiotische Frage, aber es interessierte sie wirklich.
»Mir geht’s blendend, Allie, danke.« Er lächelte süffisant. »Meine eigene Freundin traut mir nicht und treibt sich stattdessen mit anderen Typen im Wald herum. Aber sonst ist alles prima. Für mein Geschichtsessay habe ich die Bestnote erhalten.«
»Carter, ich …«
»Ich bin nicht hergekommen, um mir deine Erklärungen anzuhören«, schnitt er ihr das Wort ab. Dann hielt er inne. »Oder vielleicht doch … Was weiß ich.«
Ganz kurz sah sie einen unverstellten
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