Nightschool. Du darfst keinem trauen
Carter hielt noch immer ihre Hand.
Als sie sicher war, dass sie allein waren, blieb Allie stehen und sah ihn an: »Danke, Carter.«
Er ließ ihre Hand los und sah zu Boden. »Nicht der Rede wert.«
»Doch, Carter«, sagte sie und griff ihrerseits nach seiner Hand. Als er aufschaute, wirkte er so verletzlich, dass sie den Blick nicht losreißen konnte. »Das war durchaus der Rede wert.«
Sie sahen einander lange an, doch gerade, als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, durchbrach Jos Stimme den Zauber:
»Allie! Carter!«, rief sie und kam auch schon angerannt, mit Gabe und Lisa im Schlepptau.
Sie packte Allie an der Schulter und rüttelte sie besorgt. »Wo warst du? Alles okay bei dir? Ich hab dich überall gesucht.«
Allie nickte. Wieder spürte sie die lästigen Tränen aufsteigen.
»Du warst nirgends zu finden. Carter hat mir aus der Klemme geholfen …«
Sie wollte sich zu ihm umdrehen, doch er war verschwunden.
Das Frühstück am nächsten Morgen verlief in tiefem Schweigen. Jene Schüler, die einen Großteil der Nacht im Wald verbracht hatten, waren leicht an ihren unordentlichen Frisuren und den Ringen unter ihren Augen zu erkennen. Jo und Allie saßen schweigend da, daneben hockte Lisa und gähnte. Keiner hatte Hunger. Allie umklammerte eine Teetasse, als hinge ihr Leben daran, während Jo ein Stück Toast in winzige Krümel zerschredderte.
Allie hatte den Rest der Nacht bei Jo auf dem Fußboden verbracht, nachdem sich die ganze Truppe unbemerkt durch dieselbe gesicherte Tür, durch die sie eine Stunde zuvor hinausgelangt waren, in die Schule zurückgeschlichen hatten.
Bis vier Uhr in der Früh hatten sich die beiden noch unterhalten. Allie hatte Jo beruhigt, es gehe ihr besser, dabei stimmte das gar nicht.
Wie soll man das auch so einfach wegstecken – eine Panikattacke, nackt und vor der halben Schule?
Immerhin wusste sie jetzt, was passiert war, nachdem sie in den Weiher gehüpft waren: Jo hatte ihr in der Nacht noch alles erzählt. Dass Gabe und Lucas die Mädchen vom Wasser aus entdeckt hatten, als diese Richtung Teich rannten. Dass Gabe Jo gepackt hatte, kaum dass sie mit dem Wasser in Berührung gekommen war, und mit ihr zu einem nahen Baum geschwommen war. Dass Jo gerade noch Lisa hatte festhalten und mit sich ziehen können, die derweil versuchte, sich vor Lucas zu verstecken. Und wie sie in dem ganzen Durcheinander Allie verloren hatten.
»Der Weiher war dermaßen schnell voller Leute«, erzählte Jo, »und es war so dunkel, dass ich dich an der Stelle, wo wir ins Wasser gesprungen waren, nirgendwo finden konnte. Beziehungsweise da, wo ich glaubte, dass wir ins Wasser gesprungen waren.« Jules und Ruth hatten ihr dann irgendwann berichtet, sie hätten Allie mit Carter gesehen und dass es ihr offenbar nicht gut gehe. »Ruth ist mit Jules zum Weiher gegangen, weil sie nicht allein gehen wollte. Und Jules dachte, dass wir gesoffen hätten und es dir deshalb so mies ging, und ich musste mir erst mal eine Megastandpauke anhören, deshalb hat es so lange gedauert, bis ich dich suchen konnte.«
»Ich hab Sylvain nirgendwo entdecken können. Obwohl, eigentlich habe ich sowieso keinen erkannt«, sagte Allie.
»Ich glaube auch nicht, dass er da war«, sagte Jo. »Aber sonst waren alle da.«
Allie, die sich aus Jos Mänteln und Pullovern ein Lager bereitet hatte, vergrub das Gesicht in Jos Reservekissen. »Ich frage mich, wie viele Leute meinen Ausraster mitgekriegt haben.«
Jo streckte sich in ihrem Bett und gähnte. »Nicht viele, das ist sicher. Außer Jules hat keiner was gemerkt.«
»Jules wird es bestimmt herumerzählen.«
»Nein. Sie ist doch Vertrauensschülerin. Deshalb ist sie irgendwie verpflichtet, dich zu unterstützen oder so«, sagte Jo. »Was war eigentlich genau mit dir los?«
Allie erzählte ihr von der Panikattacke und dass Carter sie gerettet habe. Sie erzählte ihr nicht, was sie empfunden hatte, als er sie aus dem Wasser gezogen und ihr geholfen hatte, wieder zu Atem zu kommen. Oder wie sie ihn im Mondlicht hatte davongehen sehen. Sie betonte nur, wie ruhig er gewesen und wie cool er mit der Situation umgegangen sei.
Jo dachte einen Augenblick nach, und als sie sprach, setzte sie die Worte mit Bedacht: »Die Leute hier haben ein komisches Verhältnis zu Carter. Er tut so, als wäre er was Besseres, und außerdem hat er in den letzten Jahren viele Mädchen vergrätzt, weil er erst so tat, als hätte er ernste Absichten, und sie dann plötzlich nicht mehr
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