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Niki de Saint Phalle - Die Lebensgeschichte (optimiert für Tablet-Computer)

Niki de Saint Phalle - Die Lebensgeschichte (optimiert für Tablet-Computer)

Titel: Niki de Saint Phalle - Die Lebensgeschichte (optimiert für Tablet-Computer) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Schuemann
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Schönschreiben ist mein Lieblingsfach. Aber auf meine Weise. Kringel, Kurven, Kästchen und Punkte wachsen aus den Strichen heraus. Sind sie fertig, lege ich sie in meine geheime, imaginäre magische Box, die außer mir niemand sehen kann. Ich hole sie nur heraus, wenn ich allein bin. Schwupps – schon purzeln bunte Fische, Geister und süß duftende Blumen heraus und erfüllen den Raum. Heute spricht in meiner Box eine Stimme. Ich halte sie an mein Ohr und lausche: »Such dir ein eigenes rotes Band«, sagt sie beschwörend.
    Am nächsten Tag gehe ich stolz damit in die Schule. Ich bin auch etwas Besonderes.
    Â»Cathérine Marie-Agnès, geh sofort zur Direktorin!«
    Â»Aha. Tut sie das?«, denke ich. »Tut sie wohl«, seufze ich und stehe auf, um mir meine Strafpredigt abholen zu gehen, während mich meine Mitschülerinnen unverhohlen mustern.

Jugend
    Sie hatte recht, nur allzu recht, die Stimme aus meiner Box, der ich in der Folge ein entsetzliches Geheimnis anvertrauen muss.
    I ch bin von der Schule geflo-hogen… und ich fliege und fliege … geradewegs zu Großvater und Großmutter Harper!
    Hier in Princeton bin ich jetzt auf einer öffentlichen Schule, wo auch Jungs hingehen. Find ich okay. Ziemlich okay.
    MY BEST FRIEND ist meine magische Box. Ihr sage ich ALLES.
    Aber dann kommt gleich Großvater Harper. Er geht oft mit mir angeln auf dem Carnegie Lake. Viele Stunden bin ich dann mit ihm allein im Boot, ganz still. Man kann super mit ihm reden. Er kennt viele Gedichte. Eins gefällt mir besonders gut, »The Raven« von Edgar Alan Poe. Inzwischen bin ich ganz verrückt nach Poe und lese alles von ihm. Außerdem bringt Großvater mir Bridge, Poker und Dame bei. Das Allerbeste an Großvater ist: Er hat ZEIT für MICH! Auch Großmutter ist sehr lieb. Sie kommt gleich nach Großvater!
    Nur meine Box weiß, dass ich den Film »Casablanca« mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman super ROMANTISCH finde
und ich in den Filmschauspieler Harpo Marx sooo verliebt bin. »Sag mir«, flüstere ich meiner Box heimlich zu, »sag mir, wie es ist, ES zu tun?«
    Ich spüre, dass meine Brustwarzen empfindlich werden und meine Brüste wachsen. Manchmal schaut Daddy mich so anders an als früher. Das – ich weiß nicht, ist mir komisch.
    Herrlich ist es, auf dem Pferd durch den Wald zu reiten. Ich habe jetzt zweimal in der Woche Reitstunde!
    Schlangensommer
    Â»Shit! Er hat uns erwischt.« Niki ist elf, fast zwölf und wird mit ihren Cousins beim Rauchen ertappt. Daddy straft mit Rutenschlägen auf die Beine. Er peitscht sie, bis es blutet. Niki weint nicht, schreit nicht, nie, obwohl es deshalb länger dauert, bis er endlich aufhört, und es so sehr schmerzt!
    Nikis Schuljahr in Princeton ist zu Ende. Sie wird nach den Ferien wieder in New York zur Schule gehen. Eigentlich hatte sie sich auf den Sommer mit ihrer Familie gefreut. Wie hatte sie vergessen können in dem Jahr mit den Großeltern Harper, wie Daddy sein kann? Und auch Mama.
    Denn das mit dem Rauchen ist nicht das Einzige, was in diesen Wochen der Sommerfrische am Meer passiert.
    John erlaubt sich den Spaß, seiner Schwester eine schwarze tote Schlange ins Bett zu legen. So gellend hallt ihr Schrei des Entsetzens durch die Räume, dass ihr 22-jähriger Cousin angerannt kommt. Niki fleht ihn an, in dieser Nacht bei ihm schlafen zu dürfen. Darüber ist wiederum Jeanne restlos entsetzt, denn das schickt sich ja nicht!
    Ja, Mama, was, glaubst du denn, soll da passiert sein?
    Daddy aber träumt inzwischen seine Träume und nimmt seine Tochter mit in die Gartenlaube, allein mit ihm. Wieder Entsetzen. Daddys Schlange zwischen seinen Beinen, die ihr Gift versprüht, in Niki hinein. Es riecht. Schmeckt. Sie würgt.

    Das schickt sich, Mutter? Wenn du wüsstest!
    Aber Mutter ahnt ja nichts.
    Niki weiß, dass sie niemandem etwas davon sagen darf.
    So flüstert sie es in ihre Box.
    Dann legt sie ihr Ohr an die Box und lauscht: Was sagt sie?
    Die Box sagt nichts.
    Nichts?
    Niki lauscht noch einmal.
    Schweigen, immer noch.
    Schweigen?
    Ja.
    Keine Stimme mehr?
    Nein, keine Stimme mehr.
    Leere.
    Tränen denn?
    Nein, auch KEINE TRÄNEN!
    Dann vergisst Niki, was geschehen ist, denn zu schrecklich ist die Erinnerung. Mehr noch: Sie vergisst sogar, dass es überhaupt je etwas zu vergessen gab. Nur manchmal kommt die Erinnerung nachts

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