Nikotin
folgenden Abend, nach seiner Rückkehr von Gilling, Miss Wills aufsuchte. Er kam zu spät, der Vogel war ausgeflogen. In der Zwischenzeit hatte sich von seinem Gesichtspunkt aus alles zufrieden stellend entwickelt. Mrs Rushbridger beabsichtigte, uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Mrs Rushbridger wurde getötet, ehe sie sprechen konnte. Wie dramatisch! Wie ähnlich den Detektivgeschichten, den Theaterstücken, dem Film! Wieder die Pappe, das Flittergold und die bemalte Lei n wand.
Aber ich, Hercule Poirot, ließ mich nicht täuschen. Ich sah, dass Mrs Rushbridger getötet worden war, weil sie in Wirklichkeit überhaupt nichts hätte mitteilen können, weil überhaupt keine Verbindung zwischen ihr und dem Verbrechen bestand. Wenn sie Sir Charles Cartwrights erfolgreicher Blitzableiter sein sollte, so konnte sie das nur als eine Tote sein. Und so wurde Mrs Rushbridger, eine harmlose Fremde, ermordet…
Allein in jenem scheinbaren Triumph beging Sir Charles einen kolossalen – einen kindischen – Irrtum! Das Tel e gramm war an mich gerichtet, an Hercule Poirot, Hotel Ritz. Mrs Rushbridger aber hatte niemals gehört, dass ich mich mit dem Fall befasste; niemand dort in Yorkshire wusste es. Begreifen Sie, welch unglaublichen Fehler Sir Charles beging?
Eh bien, nun kannte ich die Person des Mörders; doch nach wie vor tappte ich in Bezug auf den Beweggrund im Dunkeln.
Ich grübelte.
Aus welchem Grund konnte Sir Charles Cartwright se i nen besten Freund ermorden?«
Ein tiefer Seufzer wurde laut. Langsam erhob sich Charles Cartwright und schlenderte zum Kamin. Dort stand er, die Hand auf die Hüfte gestützt, und sah auf Poirot herab. Seine Haltung – das hätte Mr Satterthwaite den beiden anderen sagen können – war die Lord Eagl e mounts, wie er verächtlich auf den schurkischen Anwalt herabsieht, dem es gelang, ihn der Unterschlagung zu zeihen. Er strahlte Vornehmheit und Abscheu aus. Er war der Aristokrat, der auf die gemeine Kanaille hera b schaut.
»Sie besitzen eine fabelhafte Einbildungskraft, Monsieur Poirot«, sagte er. »Es erübrigt sich eigentlich zu erklären, dass an Ihrer ganzen Geschichte nicht ein einziges wahres Wort ist. Wo Sie die verdammte Frechheit hernehmen, so ein absurdes Lügengewebe aufzutischen, weiß ich nicht. Aber fahren Sie fort – berichten Sie mir, aus welchem Grund ich einen Mann ermordete, den ich seit meiner Knabenzeit gekannt habe.«
Hercule Poirot, der kleine Bourgeois, sah zu dem Ari s tokraten empor. Er sprach schnell, aber fest.
»Sir Charles, wir haben ein Sprichwort, das heißt: Che r chez la femme. Und in ihm fand ich meinen Beweggrund, um dessentwillen ich mir den Kopf zerbrach. Ich hatte Sie mit Mademoiselle Lytton Gore gesehen. Es war klar, dass Sie sie liebten – mit jener schrecklich aufgewühlten Leidenschaft, die einen bejahrten Mann befällt und g e wöhnlich durch ein unschuldiges junges Mädchen en t facht wird. Sie liebten sie. Und sie, das sah ich ohne We i teres, betete Sie an wie einen Helden. Sir Charles, Sie hä t ten nur zu sprechen brauchen, und Mademoiselle wäre in Ihre Arme gesunken. Aber Sie sprachen nicht. Warum nicht? Sie spielten Mr Satterthwaite gegenüber den b e schränkten Verliebten, der nicht erkennen kann, ob die Dame seines Herzens seine Gefühle erwidert. Sie behau p teten, nach Ihrer Meinung liebe Miss Lytton Gore den jungen Manders. Aber Sie sind doch ein Mann von Welt; Sie sind ein Mann mit großer Erfahrung in Bezug auf Frauen. Und daher können Sie nicht getäuscht worden sein. Nein, Sie wussten ganz genau, dass Miss Lytton G o re Sie gern hatte. Warum also heirateten Sie sie nicht?
Es musste ein Hindernis bestehen! Welches? Nur das eine konnte es sein, dass Sie bereits eine Frau hatten. A ber überall galten Sie als Junggeselle. Mithin hatte diese Heirat in Ihren ganz jungen Jahren stattgefunden, bevor Ihr Name als Schauspieler bekannt wurde.
Was war mit Ihrer Frau geschehen? Wenn sie noch le b te, so gab es ja das Heilmittel der Scheidung, und war sie eine fromme Katholikin, die vor der Scheidung zurüc k schreckte, so würde man immerhin von ihrer Existenz gewusst haben.
Nun gibt es jedoch zwei Tragödien, bei denen das G e setz keine Erlösung schafft. Die Frau, die Sie heirateten, mochte eine lebenslängliche Strafe in einem Gefängnis abbüßen oder hinter den Mauern einer Heilanstalt eing e sperrt sein. In keinem von diesen beiden Fällen konnten Sie geschieden werden, und wenn die Eheschließung stattgefunden hatte,
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