Nimmerzwerg

an den Gurt. Er legte die Schaufel über das Stahlseil, ergriff ihren Stiel an beiden Seiten und sprang.
    Die Kameraden sahen ihn mit flatternder Kutte am Seil hinab auf die andere Seite sausen, während der Schaufelstiel Funken schlug und die Schlüssel an seinen Gurten munter aneinanderklimperten.
    Der Hohepriester schluckte bei dem Gedanken daran, diesen Weg wählen zu müssen, der kaum für einen Tausendjährigen gemacht zu sein schien.
    „Es ist einfach. Ihr müsst euch nur festhalten“, sagte Zweibart aufmunternd.
    „Muss das wirklich sein?“, fragte der Hohepriester zweifelnd.
    „Nun, über die Brücke werden die Menhire euch kaum zurücklassen…“, sagte Zweibart.
    Als Nächster schwang sich Blechboldt an das Seil und rauschte mit flatternder Kutte davon. Dann war Fazzgadt an der Reihe, der auf seinem Weg zur anderen Seite das Schicksal, die Schaufel und die Schwerkraft verfluchte. Seufzend folgte ihm der Höchste der Hohen, der vermutlich der erste Zwerg war, der den Abgrund des Vergessens mit über tausend Jahren zweimal überquert hatte. Er wäre zwar lieber würdevoll hinübergeschritten, so wie er es die meiste Zeit seines Lebens getan hatte, ihm blieb jedoch nichts anderes übrig, als mit schmerzenden Knochen ebenfalls diesen Weg zu bewältigen, und dann rauschte er auch schon mit flatternder Kutte zum anderen Ufer. Als Nächstes folgte Zweibart den Gefährten, und zuletzt kam der Schlüsselträgertroll, unter dessen kolossaler Gestalt sich das Stahlseil spannte und laut ächzte.
    Als alle auf der anderen Seite angelangt waren, schoben sie die Schaufeln, in deren Stielen das Seil eine schwarze Rille hinterlassen hatte, zurück in ihre Gürtel. Im Licht der feuerlosen Fackeln, die Schlüsselmeister und Troll in ihren Gürteln trugen, konnten sie hinter einigen Felsformationen etwas weiter oben die Brücke der Verdammnis sehen. An das Plateau, auf dem sie gelandet waren, schloss sich eine kleine Höhle an, aus der es jedoch keine weiterführenden Gänge zu geben schien. Offenbar führte das Seil nicht direkt ins Imperium selbst, sondern lediglich zu dieser Höhle.
    Als sie mit ihren Fackeln näher traten, konnten die Gefährten im Inneren der Höhle jedoch drei stählerne Rohre funkeln sehen, die von der Decke hinab zu einem Schacht verliefen, der im Boden der Höhle gähnte und vielleicht fünf Zwerg Durchmesser hatte.
    Der Schlüsselmeister hängte seine Lampe an einen Haken in der Wand, sodass sie in den Schacht hineinblicken konnten. Dem Schein der Fackel folgte bodenlose Finsternis. Blechboldt stieß mit dem Fuß einen Stein in den Schacht.
    Die Gefährten sahen ihn in der Dunkelheit verschwinden und warteten eine Weile. Es war jedoch kein Aufprall zu hören. Und wenn doch, dann war er sehr leise und weit entfernt.
    Dieser Schacht musste bis ans Ende der Welt reichen. Womöglich sogar noch ein Stückchen darüber hinaus.
    Zögernd blickten die Kameraden einander an.
    Dann schwang sich der Schlüsselmeister an eines der Rohre und ließ sich daran hinuntergleiten. Der Troll folgte ihm mit klirrenden Schlüsseln, und beide verschwanden mit wehenden Kutten in der Finsternis.
    Mit einem Seufzen griff Blechboldt nach einem der Rohre.
    Und Fazzgadt, der seit der Überquerung des Abgrunds nicht mehr mit dem Fluchen innegehalten hatte, packte das nächste. Gefolgt vom Hohepriester und Zweibart, sprangen schließlich auch sie hinab in die gähnende Tiefe des Schachtes.

INTERMEZZO
     
     
     
    In der Gestalt Krugk Trümmerboldts saß Harrm Blutklump vor dem nie verlöschenden Kamin auf der Ebene des Verwalters. Auf der steinernen Tafel vor sich hatte er die schweren Schieferplatten mit den Karten der Gänge ausgebreitet, die er sich aus den Höhlen der Kartographen hatte bringen lassen, nachdem er auch sie wie alle anderen in Ketten gelegt hatte.
    Und nun hockte er mit einem Stück Kohle vor den insgesamt siebzehn Steintafeln, auf denen die Gänge des gesamten Imperiums abgebildet waren, und skizzierte darauf sein künftiges Nervensystem. Mit dünnen Strichen flocht er ein Netz aus Rohren in den Gängen, das seinem Willen den Weg bis in die letzten Winkel der Höhlen ebnen würde. Und während er dies tat, spülte sein heißes, flammsteinsplittererfülltes Blut von Zeit zu Zeit die Erinnerungen Krugk Trümmerboldts aus den Tiefen seines Körpers bis zu dem Stein in seinem Schädel empor.
    Doch Blutklump war ein Zwerg von Geist. Der große Wutrich Pilzgrimm hatte ihn beinahe alles gelehrt, was ein Zwerg