Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
>Almanzora< bekommen. Am 9. März fährt das Schiff von Mombasa ab.«
    »Puttfarken ist durchgekommen«, weinte Jettel.
    »Wie in drei Teufels Namen kommst du auf Puttfarken? Wer soll das sein?«
    »Puttfarken, Schützenstraße«, sagte Jettel. Sie stand auf, trocknete ihre Augen mit einer hastigen Bewegung ihres Kopfes am Ärmel ihrer Bluse und ging zum Fenster, als hätte sie lange auf den Augenblick gewartet. Dann legte sie ihre Finger auf die Lippen und zog, obwohl es erst fünf Uhr nachmittags war, die Vorhänge zu.
    Walter begriff sofort. Trotzdem fragte er ungläubig: »Du meinst doch nicht unseren Puttfarken aus Leobschütz?«
    »Wen denn sonst, wenn ich mitten am Tag die Vorhänge zuziehe? Anna«, ahmte Jettel die so lange vergessene, mit einem Mal wiedergefundene Stimme nach, »machen Sie erst den Vorhang zu. Es ist besser, wenn mich hier keiner sieht. Ich bin doch Beamter und muß vorsichtig sein.
    Mensch, Walter, weißt du noch, wie sich unsere Anna immer geärgert hat? Sie hat ihn immer nur Feigling genannt.«
    »Er war keiner. Aber wie kommst du auf ihn?«
    »Bwana, der Brief«, sagte Owuor und deutete auf den Tisch.
    »Aus Wiesbaden«, sagte Jettel. »Er ist ein ganzes hohes Tier geworden. Ministerialrat«, las sie vor und verschluckte sich kichernd an jeder einzelnen Silbe. »Laß mich vorlesen. Ich habe mich den ganzen Tag schon drauf gefreut.«
    »Lieber Freund Redlich«, las Jettel, »durch eine schwere Grippe (falls Sie in Ihrem Sonnenparadies noch wissen, was das ist) komme ich erst heute dazu, Ihnen zu schreiben. Der Brief vom Ministerium wird Sie also schon erreicht haben. Es hätte andersherum sein sollen. Ich kann mir vorstellen, wie Sie ins Grübeln gekommen sind über den Zufall, daß Sie einer hier in Wiesbaden kennt. Wir hier wissen ja längst, daß der Zufall die einzige feste Größe ist, mit der man noch rechnen kann, aber ich hoffe doch sehr, daß Ihre Erlebnisse in dieser Hinsicht ein bißchen besser waren.
    Wie soll ich Ihnen meine Fassungslosigkeit schildern, als das Gesuch von Herrn Dr. Walter Redlich zur Übernahme im Dienst des Hessischen Justizministeriums ausgerechnet auf meinem Schreibtisch landete. Wahrscheinlich bin ich seit Bismarcks Rücktritt der erste deutsche Beamte, der je im Dienst geweint hat. Ich las Ihr Gesuch immer und immer wieder und konnte doch nicht glauben, daß Sie noch am Leben sind. In Leobschütz hat man sich kurz nach Ihrer Auswanderung erzählt, daß Sie von einem Löwen angefallen worden seien und dabei den Tod gefunden hätten. Erst der Hinweis auf Ihre Studienzeit in Breslau und Ihre Anwaltstätigkeit in Leobschütz hat mir die Gewißheit gegeben, daß Sie tatsächlich der Freund guter, auf immer dahingegangener Tage sind.
    Und dann konnte ich mir ja auch nicht vorstellen, daß irgendein Mensch, dem es gelungen ist, diesem Deutschland zu entrinnen, wieder zurückkommen will in diese Ruinen und zu den Menschen, die ihm das angetan haben, was Ihnen und Ihrem Volk zugefügt worden ist. Was müssen Sie erlebt haben, wie schlimm mag Ihr Leben sein, wenn Sie den Mut zu einem so schicksalhaften Entschluß fanden! Natürlich begrüße ich ihn sehr. Wir haben hier in Deutschland die politisch belasteten Richter entlassen, und es sind viel zuwenig unbelastete übriggeblieben, um die Justiz wieder aufzubauen. Machen Sie sich also darauf gefaßt, daß Sie nicht lange Amtsgerichtsrat sein werden, ehe man Sie befördert. Amtsgerichtspräsident Maaß wird Ihnen gefallen. Er ist ein hochanständiger Mann, der von den Nazis aus dem Justizdienst gejagt wurde und seine Familie in all den Jahren kümmerlich über Wasser halten mußte.
    Da wären wir auch bei meinem Schicksal. Es hat mir nichts genützt, daß Ihre Anna (ob sie mir inzwischen verziehen hat, die treue Seele?) immer die Vorhänge zuziehen mußte, wenn ich Sie im Asternweg besuchte, damit niemand mitbekam, daß ich noch bei Juden verkehrte. Kurz nachdem Sie Leobschütz verlassen hatten, wurde ich meiner jüdischen Frau wegen als Richter vom Dienst suspendiert, bekam dann aber durch die Fürsprache vom guten alten Tenscher wenigstens noch als Angestellter eine Art von Tätigkeit auf dem Grundbuchamt zugewiesen.
    Nach ein paar Monaten dort wurde ich auf Betreiben von Kreisleiter Rummler, an den Sie sich hoffentlich nicht so gut erinnern werden wie ich, auch von dort entfernt. Vorher hat man mich dreimal nach Breslau einbestellt und mir die sofortige Wiederverwendung im Staatsdienst für den Fall in Aussicht

Weitere Kostenlose Bücher