Nirgendwo in Afrika
anstrengen wie ein Hund, der nach tiefem Schlaf den ersten Laut hört, denn der Bwana hatte wie ein alter Mann gesprochen, der zuviel Luft in der Brust hat. Trotzdem gelang es ihm, das Lob wie in den guten Tagen der frischen Freude zu genießen. Er versuchte, nach der gestorbenen Zeit zu greifen, aber sie rieselte ihm wie zu fein gemahlener Mais durch die Hände. So schob er seinen Körper schwerfällig zur Seite, und Regina setzte sich zwischen ihn und ihren Vater.
Die Stille war gut und machte den Schmerz, der nicht aus dem Körper kam, leicht wie die Feder eines Huhns, ehe es zum erstenmal ein Ei legt. Sie schwiegen alle drei, bis das Tageslicht weiß und klar wurde und die Sonne die Blätter in das dunkle Grün einfärbte, das einen Tag mit Feuer in der Luft ankündigte.
»Owuor«, sagte Walter, als er das Fenster aufmachte, »hier liegt mein alter, schwarzer Mantel. Du hast ihn vergessen.«
»Ich habe nichts vergessen, Bwana. Der Mantel gehört nicht mehr mir.«
»Ich habe ihn dir geschenkt. Weiß das der kluge Owuor nicht mehr? Ich habe ihn dir in Rongai geschenkt.«
»Du ziehst den Mantel wieder an.«
»Woher weißt du?«
»In Rongai hast du gesagt: Ich brauche den Mantel nicht mehr. Der ist aus einem Leben, das ich verloren habe. Jetzt«, sagte Owuor und zeigte beim Lachen seine Zähne wie in den Tagen, die nur noch Maismehl waren, »hast du dein Leben wiedergefunden. Das Leben mit dem Mantel.«
»Du mußt ihn mitnehmen, Owuor. Ohne Mantel wirst du mich vergessen.«
»Bwana, mein Kopf kann dich nicht vergessen. Ich habe so viele Worte von dir gelernt.«
»Sag sie, sag sie noch einmal, mein Freund.«
»Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren«, summte Owuor. Er merkte, daß seine Stimme mit jedem Ton kräftiger wurde und daß die Musik in seiner Kehle immer noch so süß schmeckte wie beim erstenmal. »Siehst du«, sagte er triumphierend, »auch meine Zunge kann dich nicht vergessen.«
Entschlossen und doch mit zitternden Händen griff Walter nach der Anwaltsrobe, schüttelte sie aus und legte sie um Owuors Schultern, als wäre er ein Kind, das der Vater vor Kälte schützen muß. »Geh jetzt, mein Freund«, sagte er, »auch ich will kein Salz in den Augen.«
»Es ist gut, Bwana.«
»Nein«, schrie Regina, und sie wehrte sich nicht länger gegen den Druck der verschluckten Tränen. »Nein, Owuor, du mußt mich noch einmal hochheben. Ich darf das nicht sagen, aber ich sag's doch.«
Als Owuor sie in seine Arme nahm, hielt Regina die Luft an, bis der Schmerz ihre Brust in zwei Teile spaltete. Sie rieb ihre Stirn an den Muskeln von Owuors Nacken und ließ die Nase den Duft seiner Haut einfangen. Da merkte sie, daß sie wieder zu atmen begonnen hatte. Ihre Lippen wurden feucht. Die Hände griffen nach dem Haar, in das nun jeden Tag ein neuer kleiner Strahl vom grauen Blitz fuhr, aber Owuor hatte sich verwandelt.
Er war nicht mehr alt und voller Trauer. Sein Rücken war wieder gerade wie der Pfeil vom gespannten Bogen der Massai. Oder war es Amors Pfeil, der durch die Bilder sauste?
Einen Moment fürchtete Regina, sie hätte Amors Gesicht erblickt und ihn für immer in das Land getrieben, in das sie ihm nicht folgen konnte, doch, als sie ihre Augenlider endlich heben konnte, sah sie Owuors Nase und das Leuchten seiner großen Zähne. Noch einmal war er der Riese, der sie in Rongai aus dem Auto gehoben und in die Luft geworfen und so unendlich sanft auf die rote Erde der Farm gesetzt hatte.
»Owuor, du kannst nicht weg«, flüsterte sie, »der Zauber ist noch da. Du kannst den Zauber nicht zerschneiden. Du willst nicht auf Safari. Nur deine Füße wollen fort.«
Der Riese mit den starken Armen gab ihrem Ohr zu trinken. Es waren wunderbar leise Laute, die fliegen konnten, sich aber nicht fangen ließen, und doch machten sie auch schwache Menschen mit Tränen stark. Regina hatte die Augen wieder in die Dunkelheit zurückgestoßen, als Owuor sie auf den Boden stellte. Sie hatte seine Lippen auf ihrer Haut gespürt, aber sie wußte, daß sie Owuor nicht ansehen durfte.
Wie die Bettler auf dem Markt ließ sie ihren Körper auf den Boden gleiten, als wäre er zu kraftlos, um sich gegen die Lähmung zu wehren. Aufmerksam lauschte sie der Melodie des Abschieds; sie hörte Rummler schnaufen, Owuors Schritte, die das Holz zum Tanzen brachten, dann das Quietschen der Tür, als sie energisch aufgestoßen wurde, und in der Ferne einen Vogel, der anzeigte, daß es noch eine andere Welt als die mit den
Weitere Kostenlose Bücher