Noch einmal leben
Ende Manhattans entdecken, der das Versprechen ständiger Wiedergeburt gab. Das war sehr tröstend. Die Architekten hatten all das eingeplant, als sie das Gebäude auf dem Reißbrett entworfen hatten.
An diesem Freitagmorgen kam Mark Kaufmann ins Scheffing-Institut, um für sein Weiterleben vorzusorgen. Sein kleiner Gleiter landete wie vorprogrammiert auf der Landebahn des ersten Einschnitts des Turms. Wartende Beamte eilten dienstbeflissen auf ihn zu und brachten ihn zu Santoliquido. Der Morgen war kühl. Mark Kaufmann hatte sich eine warme Tunika angezogen, auf der dunkelbraune und rote Leuchtstreifen funkelten.
Francesco Santoliquidos Büro war weiträumig, hoch und darauf angelegt, den Besucher zu beeindrucken. In einer Ecke stand eine Schall-Skulptur, modelliert von Anton Kozak: ein wundervolles Stück mit ständig fließenden Linien und komplexen Rhythmen, das ein leises Grundrauschen aussandte, welches sich rasch im Bewußtsein der Anwesenden festsetzte. Kaufmanns Freude an diesem schönen Stück wurde rasch verdorben, als ihm einfiel, daß Anton Kozak, der vor neun Jahren gestorben war, seine Reinkarnation als transplantiertes Bewußtsein in John Roditis gefunden hatte.
Santoliquidos Schreibtisch öffnete sich gehorsam, der Direktor trat zwischen den beiden Hälften hindurch, um Kaufmann zu begrüßen. Er war ein bulliger Mann, kräftiger noch als die herrschende Mode es vorschrieb, was ihm aber nichts auszumachen schien. An seinen dicken Fingern glitzerten Ringe, die die Eitelkeit im Wesen des sich sonst so unschuldig gebenden Santoliquido verrieten. Um seinen Hals hing in einem Kristallmedaillon ein Bündel kleiner Krustazeen in Violett, Grün und Azurblau, mit Perlen als Augen, ein Erzeugnis der mutagenetischen Kunst, wunderschön gearbeitete, kleine Wesen, die pausenlos majestätisch in ihrem Gefängnis tanzten. Santoliquido trug ein grünes Hemd mit zinnoberroten Schulterklappen. Im Glanz dieser Farbe gewann sein weißes Haar eine unwiderstehliche Lebendigkeit.
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände. Santoliquido kehrte an seinen Schreibtisch zurück und holte ein Tablett mit Drinks hervor. Gemeinsam mit Kaufmann gab er sich dem kurzen Vergnügen des Augenblicks hin. Wie Speere tanzten die Sonnenstrahlen im Zimmer. Das Fenster, wie ein Halbbogen geformt, war völlig transparent. Von seinem Platz aus hatte Kaufmann einen ausgezeichneten Blick auf den Hafen. Und als er so auf Jubilisle hinunterblickte, kam ihm das wie ein Blick durch ein Mikroskop auf ein unvorstellbares, protonisches Mikrouniversum vor.
„Nun“, sagte Santoliquido, „wir hatten gestern das außerordentliche Vergnügen des Besuchs deiner liebreizenden Tochter. Sie ist wahrlich nicht leicht zufriedenzustellen. Wir haben die besten Stücke vor ihr ausgebreitet, konnten aber zu keinem Abschluß kommen.“
„Also noch nichts … sie wird wiederkommen.“
„Ja, ganz sicher, am nächsten Dienstag. Bis dahin will sie sich zwischen den drei Alternativen entschieden haben.“
„Die würde ich gerne mal sehen“, sagte Kaufmann.
„Das wäre etwas außerhalb der Vorschriften.“
„Ich weiß.“
Santoliquido lächelte diplomatisch. Kaufmann hatte immer ein gutes Verhältnis zu diesem Mann gehabt. Sie hatten gemeinsame geschäftliche Interessen, wie zum Beispiel den Plan für ein Kraftwerk in der Antarktis. Und immer wieder hatte Santoliquido am Ende ein hübsches Sümmchen seinem ohnehin nicht unbeträchtlichen Vermögen hinzufügen können. Gegenseitige Gefälligkeiten waren unter diesen Umständen selbstverständlich.
Der Ton von Kozaks Kunstwerk veränderte sich deutlich, er wurde klarer und heftiger. Früher einmal hatte Kaufmann etliche Kozak-Werke besessen. Aber nachdem Roditis das Bewußtsein des Bildhauers übernommen hatte, war es Mark immer wieder gelungen, einzelne seiner Werke an begeisterte Freunde loszuwerden.
Kaufmann sagte: „Gibt es seit Mittwoch etwas Neues über Onkel Paul?“
„Nein.“
„Ich würde auch ihn gerne sehen.“
„Wirklich?“
„Du wirst meine Neugierde schon befriedigen, nicht wahr?“ Kaufmann beugte sich vor und berührte mit dem Bauch den Schreibtisch. Seine Finger spielten mit einem Briefbeschwerer aus Bernstein. „Es gibt dafür einen therapeutischen Grund: ich kann es nämlich immer noch nicht glauben, daß der alte Mann wirklich tot ist. Du mußt wissen, daß er wie ein Monolith über der Familie stand …“
„Du meinst, wenn du ihn aufgenommen und eingespeichert hast,
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