Noch einmal leben
zu.
Sensoren durchleuchteten sie. Man erwartete die beiden schon; die große Tür im gotischen Stil öffnete sich, bat sie herein. Im Gebäude selbst war es dunkel, kühl und geheimnisvoll. Roditis machte immer wieder kurz Mönche in safrangelben Gewändern aus, die zwischen den hinteren Arkaden hin und her gingen. Eine Unsumme Geldes war in den Bau dieses Lamaklosters geflossen. Einige der reichsten Familien des Landes hatten hohe Beträge gespendet. Man sagte, der verstorbene Paul Kaufmann habe über eine Million Dollar gegeben. Eine amüsante Vorstellung, daß ein reicher Jude so viel Geld in den Fundus zum Bau eines buddhistischen Klosters gesteckt hatte. Aber Roditis erinnerte sich daran, daß Kaufmann kein übermäßig orthodoxer Jude gewesen war; genauso wenig, wie diese Mönche übermäßig orthodoxe Lamaisten waren. Und überhaupt, was hatten einem Paul Kaufmann eine Million Dollar schon sonderlich ausgemacht? Der gewiefte alte Banker würde schon seine Gründe gehabt haben. Roditis bemerkte seine Geistesverwandtschaft zu Kaufmann. Er selbst war erst zu spät zu seinem Reichtum gekommen, um noch für den Bau des Klosters zu spenden. Aber nun war er hier, um Versäumtes nachzuholen – und, er war sich sicher, aus den gleichen Motiven.
Zwei Mönche mit kahlrasierten Schädeln traten aus den inneren Räumen. Sie machten die passenden pseudobuddhistischen Gesten, zeichneten Mandalas in die Luft, berührten die wichtigen Punkte ihres Körpers und murmelten freundliche Willkommens-mantras. Ohne eine Miene zu verziehen warf Roditis Noyes einen kurzen Seitenblick zu. Der große Mann schien so voller Ehrfurcht, als stände er an der Schwelle zu Gottes Thronraum. Früher einmal hätte Roditis ihn sicher um die Fähigkeit beneidet, solch eine verdammt echt wirkende Respektsmiene aufsetzen zu können. Im Gegensatz dazu brachte Roditis nur ein teilnahmsloses Pokergesicht zustande, das Frömmigkeit vortäuschen sollte. Aber in diesem Augenblick war er sich nicht einmal sicher, ob Noyes überhaupt heuchelte. Nach seinen letzten, wenig erfreulichen Jahren, mochte sich der arme Charlie durchaus dem Glauben zugewandt haben. Es waren schon seltsamere Dinge vorgekommen.
„Der Guru wird in wenigen Minuten zugegen sein“, sagte einer der Mönche. „Möchten Sie Ihre weltliche Kleidung ablegen und sich mit uns im Gebet vereinen?“
Er zeigte auf ein Zimmer, wo sie ihre Kleider wechseln konnten. Roditis zog sich die verschwitzten Sachen aus und entledigte sich aufatmend der Schuhe. Sein Körper war trotz der siebenunddreißig Jahre muskelbepackt und fest; ein kompaktes Paket aus Fleisch, das noch immer unbeirrt seinen vorgezeichneten Bahnen folgte. Noyes, der genauso alt war, wirkte auf den ersten Blick immer noch anmutig jugendlich; aber das war nur eine Illusion. Unter den Kleidern wuchs dem großen Mann ein Bäuchlein, Hüften und Gürtellinie setzten Fett an. Solche Verweichlichung des Fleisches wollte Roditis symptomatisch für den Verfall des Willens erscheinen. Er beurteilte andere in dieser Hinsicht sehr streng.
In seinem neuen, weiten und leichten Gewand, die Füße in weichen Sandalen, sagte Roditis: „So ist es zweifellos bequemer. Besäßen die Menschen mehr Verstand, würden sie nur noch so herumlaufen.“
„Das läßt sich wohl kaum durchführen.“
„Nein“, stimmte Roditis zu. „Das verführt uns nur zum Schlendrian. Als Folge erschlafft der Wille. Sollen wir hier solange warten, bis sie wiederkommen und uns abholen?“
„Vermutlich“, sagte Noyes.
Der Raum wies bis auf zwei Bänke mit Sitzvertiefungen keine Einrichtungsgegenstände auf. Auf ihnen hatten die beiden ihre weltliche Kleidung abgelegt. Die Wände bestanden aus einem dunklen, hochglänzenden Steinmaterial; vielleicht Platten aus schwarzem Marmor oder aber aus Onyx. Falls jemand solche Mengen Onyx kaufen konnte, dachte Roditis. Auf jede Wand war eine Inschrift in eingelegten Buchstaben angebracht, die mit Blattgold überzogen waren. Die Wand die Roditis gegenüber lag, trug folgende:
Falls du bislang deine Ohren vor der Lehre taub gestellt hast, so höre jetzt! Ein unstillbares Verlangen nach Sinneserfahrungen wird über dich kommen, die du in früheren Zeiten gehabt hast, und die du nun aus Mangel an Sinnesorganen nicht mehr machen kannst. Dein Wunsch nach Wiedergeburt wird stärker und stärker werden – wird zu einer echten Qual für dich werden. Dieses Verlangen zerrt und reißt in dir. Obwohl du es dir jetzt noch nicht genau
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