Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
so ein schön gedeckter Tisch, wo alles zusammenpasst, ist schon was Gutes.‹ Erst als sie weg war, verstand ich, dass es gar kein Kompliment war.«
Auch die Schweizer nörgeln so, dass man es auf Anhieb gar nicht erkennt – mit Zeitverzögerung sozusagen. Vielleicht, weil man in so engen Tälern nicht so schnell weglaufen kann.
»Ich war einem Streichorchester in Luzern beigetreten und schon bei zwei Projekten dabei«, sagte Werner S., der aus Bielefeld kommt, aber seit einiger Zeit berufsbedingt in der Schweiz lebt. »Aber dieser Mensch lernte mich erst in diesem Projekt kennen, obwohl er eigentlich langjähriges Orchestermitglied war. Das neue Projekt war schwierig – es ging um Hindemith – , es gab sehr viele Diskussionen und viele Meinungen, was man tun sollte, und ich hatte auch eine. In der Pause hat er mich dann angesprochen, ob ich neu dabei sei. Er selbst sei schon seit vielen Jahren dabei, deswegen würde er sich auch erlauben, ab und zu mitzureden. Erst hinterher dämmerte mir, dass er mir sagen wollte, du bist ja ganz schön forsch, dass du als Neuer dein Maul so aufreißt.«
Allerdings ist ein Deutscher immer in der Lage, sich flugs einem neuen Nörgelstandard anzupassen.
»Wir Deutsche werden von den Schweizern als besserwisserisch, laut und unsensibel tituliert«, meinte Werner leicht indigniert. »Was ich für unberechtigt halte, weil die Schweizer nämlich genauso sind. Aber sie haben auch Schwächen. Zum Beispiel Hochdeutsch.« Er lächelte. »Alles, was im Hochdeutschen im Genitiv steht, fällt den Schweizern schwer. Es macht einfach Spaß, sie zu korrigieren. Zum Beispiel, wenn einer auf Hochdeutsch etwas Falsches sagt, sich dumm zu stellen und zu fragen, was er damit meint. Ein Helvetismus – so nennt man diese kleinen sprachlichen Abweichungen – ist zum Beispiel das Wort ›allfällig‹. Es steht für eventuell und wird so benutzt: ›Für allfällige Reklamationen wenden Sie sich bitte an unser Supportteam‹. Da hake ich nach: ›Meinen Sie alltäglich ? Meinen Sie abfällig ?‹ Das ist eine Art, die ich erst von ihnen gelernt habe. Ich finde, es geschieht ihnen recht, weil sie das auch mit mir machen.«
Eine interessante Theorie besagt, dass so etwas wie ein Nörgelnebel sich nur in einem zutiefst protestantischen Land in voller Schönheit entfalten kann.
»Ich denke, Brasilien ist katholisch geprägt, und in katholischen Ländern nörgeln die Leute generell anders«, sagte Köninger. »In Deutschland prägt das Protestantische ein bisschen mehr als das Katholische. Alles wird ernster genommen und man braucht länger zum Lachen.«
Dass Deutschland auf jeden Fall zutiefst protestantisch ist, darin waren sich alle meine Befragten einig. Selbst die Katholiken in Deutschland sind protestantisch. Mit einer Ausnahme: an Fastnacht natürlich. Da bricht sich plötzlich vom Alkohol beflügelt die Selbsterkenntnis Bahn, und sie lassen sich gehen und singen begeistert mit, wenn ihnen ein Sänger wie Ramon Chormann mit den Worten kommt:
Die Traurigkeit blüht in mir wie eine Rose,
früher war ich ein kleiner Jammerlappen,
und heut bin ich ein große’,
und was mir immer noch am meisten Kummer macht,
das ist und bleibt die Fassenacht.
Die polnischstämmige Journalistin und Nörgelforscherin Wiebke M., die in Deutschland aufgewachsen ist und deren Familie in Polen lebt, glaubt, dass auch die polnische Art der Nörgelei maßgeblich mit der Religion zusammenhängt. »Die Grundeinstellung ist: Man ist hier auf Erden in diesem Jammertal, um das Schrecklichste zu erleben, was es gibt«, erklärte sie, »und umso schlimmer das Leben hier unten ist, desto besser wird es im Himmel sein. Man kann sowieso nichts machen. Also nehmen die Polen alles mit einer großen Schicksalsergebenheit hin. Das führt dazu, dass sie weniger nörgeln, oder mindestens dazu, dass es kein Nörgeln ist, das zur Depression führt.«
Ich bat sie um ein Beispiel.
»Ich war letzte Woche in Polen«, erzählte sie. »Meine Tante und mein Onkel waren krank. Eine Bypass-OP, eine künstliche Hüfte, es geht ihnen gar nicht gut. Sie leben von nur einer Rente. Und sie haben genörgelt: ›Alles wird schlimmer, wir Rentner sind am Arsch‹, und so fort. Aber es hat sie nicht daran gehindert, zu lachen und zu scherzen. Ich glaube, das erhöht die Lebensqualität. Sie sind nicht bereit, zu Gunsten des Nörgelns auf die Freuden des Lebens zu verzichten. Wenn sie sich die ganze Zeit aufregen würden, wäre es aus.«
»Ich
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