Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Berlin, wo wir uns auf einer lauten Silvesterparty zwischen zwei Martinis begegneten. »Mein Mann ist halb deutsch, halb britisch und zum größten Teil hier aufgewachsen«, erzählte sie. »Er meint immer, ich muss in Deutschland lernen, zu meckern, wenn ich hier überleben will. Das zeigt den Leuten, dass du stark bist. Das ganze kanadische Zeugs mit dem nett und höflich sein, das legen Deutsche dir als Schwäche aus. Wenn du was erreichen willst, musst du dich beschweren. Mein Mann meckert über Kleinigkeiten wie das Essen im Restaurant, und er kann sich über Politik sehr aufregen. Und in Behörden. Ich bin da anders. Meine Mutter sagte immer, man kann mehr Fliegen mit Honig fangen als mit einer Fliegenklatsche. Ich habe probiert, mich zu beschweren und zu schimpfen, und es stimmt wirklich, was mein Mann sagt – es bringt was. Die Leute reagieren. Nur, das widerspricht allem, was ich sein will.«
Sie ist nicht allein – jeder, der von woanders her nach Deutschland kommt und hier überleben will, muss sich früher oder später mit der Frage auseinandersetzen: Schließe ich mich dem Lockruf des Nörgelns an oder leiste ich Widerstand?
»Ich weiß gar nicht, welche Art besser ist. Ich habe inzwischen gelernt, mich etwas deutscher zu verhalten, und ich finde es nicht schlecht«, gestand Scott. »Man hält nichts zurück. Die Deutschen halten sich für sehr vernünftig und friedliebend, aber in Wahrheit pflegen sie eine sehr aggressive Kultur. Jetzt kann auch ich die Leute in den Läden anschreien, und das ist schon eine Befreiung.«
Allerdings soll das nicht heißen, dass andere Länder gar nicht nörgeln. Im Gegenteil, es scheint da noch einiges zu geben, was sich die Deutschen bei anderen abgucken können.
»Die Deutschen sind nichts im Vergleich zu den Spaniern!«, sagte Felix W. begeistert. Ihn rief ich an, weil er Dolmetscher bei der Europäischen Union in Brüssel ist und tagtäglich in den Genuss einer aufregenden Kakophonie von multinationalem Genörgel kommt. »Sie haben so eine Art, wie sie sich in Kleinigkeiten reinsteigern. Der Mythos ist, dass die mediterranen Völker immer so gut drauf sind, aber in den Fahrstühlen in Brüssel fällt mir auf, wie sie sich aufplustern und alles unmöglich finden. Sie haben eine universale Art, sich aufzuregen: ›Como es posible que nos hacen eso?‹ (Wie ist es ist möglich, dass man uns wieder so was antut?). Das ist eine Klage, die in den Raum hinein gebellt wird, ohne dass man das konkretisieren kann, ein missmutiges Aufheulen, wie ein Ventil, das plötzlich pfeift.«
»Ach was«, spottete die englisch-, italienisch-, deutschsprachige Französin Brigitte Le Gouez, Dozentin beziehungsweise Maître de conference an der Sorbonne, als sie in ihrem engen Zeitplan eine Lücke für ein Telefonat mit mir über einen deutsch-mediterranen Meckervergleich fand, »die Franzosen sind sehr viel besser im kritisieren, ärgern und schimpfen als die Deutschen. Weil sie nicht groß darüber nachdenken, wie sie sich in der Öffentlichkeit korrekt benehmen. Zumindest trifft das für die Pariser zu. Das Leben in Paris ist härter als in Berlin, und das, obwohl Berlin eine ärmere Stadt ist. Der Umgangston in Berlin ist entspannter. Die Pariser sind immer sehr nervös und eigentlich stets bereit zu explodieren. Sie stehen immer unter Druck. Wir haben diesen Witz: Wie lange dauert eine Sekunde? Das ist die Zeit zwischen dem Moment, wo die Ampel grün wird, und der Typ hinter dir anfängt zu hupen.«
Felix W. dagegen, mit einer Französin verheiratet, bewundert die Franzosen ob ihres Nörgelns. »In Frankreich kann man sich mit geistreichem Nörgeln interessant machen«, schwärmte er. »Das ist die Pose des kritischen Intellektuellen.«
»Aber machen das die Deutschen nicht genauso?«, fragte ich. »Ich kenne keinen deutschen Intellektuellen, der nicht ständig versucht, sich intelligenter zu machen, indem er alles bekrittelt.«
»Ha! Das kriegen aber die Deutschen nicht so gut hin wie die Franzosen«, meinte Felix. »Das französische Nörgeln hat was Theatralisches. Es explodiert und knallt und sprüht Funken, und dann ist es wieder weg. Das deutsche Nörgeln dagegen bleibt.« Er seufzte.
In Italien, so Brigitte, meckert man zwar weniger als in Deutschland, das heißt aber nicht, dass man sein Missfallen nicht auszudrücken weiß: Wer nicht ins Schema passt, wird einfach ignoriert. »In Italien ist es nicht wichtig, wie viel Geld du hast, solange du nach Geld aussiehst.
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