Irgendwas geht immer (German Edition)
ZWEI
MO (49 Jahre)
Alles in allem lief es eigentlich ganz gut. Du kannst dir auf die Schulter klopfen, Mo. Es gelingt mir immer besser, mich nicht von Doras schlimmen Verbalattacken aus der Bahn werfen zu lassen. Natürlich lässt sich niemand gern als »elendes Miststück« oder »Ausgeburt der Hölle« titulieren, aber ehrlich gesagt habe ich mir schon Schlimmeres anhören müssen, deshalb bin ich, so ironisch es auch klingen mag, dankbar für diese vergleichsweise milden Beschimpfungen, die sie mir diesmal an den Kopf geworfen hat.
Da fällt mir wieder der Spruch von David Walsh ein, den ich meinen Patienten häufig ans Herz lege: »Wenn Sie während einer Auseinandersetzung das Gefühl haben, Sie müssten Ihrem Kind den Wind aus den Segeln nehmen, versuchen Sie es doch einfach mal damit, Ihre Segel aus seinem Wind zu nehmen. Das ist manchmal die klügere Methode.« Natürlich war das nicht nur ein leises Lüftchen, das mir achtern hinterherwehte, als ich sie einfach habe stehenlassen, sondern vielmehr ein ausgewachsener Tornado, aber ich bin aus ziemlich hartem Holz geschnitzt. Deshalb hat mich das Ganze nicht umgehauen, auch wenn ich zugegebenermaßen vielleicht ein bisschen angeschlagen bin.
Und natürlich ist von meinem reizenden Ehemann weit und breit nichts zu sehen, wie immer, wenn die Zeichen auf Sturm stehen. Er hat sich in die stillen Gewässer seines Arbeitszimmers verzogen, um sich mit seiner allzeit bereiten und verständnisvollen Dauergeliebten namens Mac zu vergnügen. Sein Gebrummel, die weibliche Streitkultur bliebe ihm wohl bis zum Ende seiner Tage ein Rätsel, zeigt doch nur, was für ein Weichei er in Wahrheit ist. Wieso weigert er sich eigentlich standhaft, hinter mir zu stehen, wenn es hart auf hart kommt? Ich habe ihm wiederholt erklärt, wie wichtig es ist, vor den Kindern Entschlossenheit und Stärke an den Tag zu legen. Es ist wichtig, dass wir wie eine geschlossene Einheit wirken. Und das tun, was ich sage. Immerhin bin ich die ausgebildete Kinder- und Jugendpsychologin in der Familie. Abgesehen davon, dass er zwei Kinder gezeugt hat (ein Akt, der mit bestenfalls sechs Minuten konzentrierter Arbeit verbunden war), sehe ich keinerlei Engagement seinerseits. Allerdings ist er ein wahrer Meister darin, sich vom Acker zu machen, sobald es etwas lauter wird, das muss ich ihm lassen. Seine Rückzugstaktik ist wirklich ausgefeilt. Gäbe es Medaillen dafür, bekäme er zweifellos die goldene umgehängt.
Und dann hat dieser Mann auch noch die Stirn und setzt sich eine geschlagene Stunde auf Doras Bettkante, damit sie sich bei ihm »ausheulen« und ihm erklären kann, sie hätte das Gefühl, zwischen ihr und mir herrsche so etwas wie eine Feindschaft, und zwar schon seit Jahren. Ich bin nicht ihre Feindin, sondern ihre Mutter . Was manchmal vielleicht auf dasselbe hinausläuft. Aber daran führt nun mal kein Weg vorbei. Schließlich bin ich nicht hier, um ihre Freundin zu sein.
Aber wofür bin ich eigentlich hier? Was ist meine Aufgabe? Soll ich ein leuchtendes Beispiel sein, ein scharfes Urteil über sie fällen oder die heilige Inquisition spielen? Im Augenblick beschränken sich meine Tätigkeiten darauf, als Chauffeurin, als Bank und an manchen Tagen als emotionaler Sandsack herzuhalten.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre ich noch diejenige gewesen, die an dieser Bettkante gesessen hätte und sich den Pulli mit Wimperntusche hätte verschmieren lassen, weil Dora sich an meiner Schulter ausgeheult hätte.
Zwischen fünfzehn und siebzehn liegt eine ganze Welt. In diesen beiden Jahren hat Doras Persönlichkeit eine 180-Grad-Wendung hingelegt. Wo ist mein süßes Gothic-Girl geblieben? Was ist aus dem Mädchen mit den schwarzgeschminkten Augen, den roten Nylon-Dreadlocks, den Springerstiefeln und dem Nasenring-Clip geworden? Es war so leicht, dieses Mädchen zu lieben. Die Tragik und Verletzlichkeit dieses zarten Geschöpfs hatte wenigstens etwas Herzzerreißendes, während ich mich heute mit einer sonnenstudiogebräunten, blondgefärbten Designer-Sklavin herumschlagen muss. Es ist, als hätte ich eine lebende Barbie zu Hause, die täglich, nein stündlich unverschämter wird. Ich bin sicher, sie hasst mich selbst noch im Schlaf. Kann Hass sich eigentlich ins Unermessliche steigern? Falls ja, ist Dora definitiv drauf und dran, die Schallmauer zu durchbrechen. Ich muss mich wohl oder übel damit abfinden, dass sie mich nicht ausstehen kann.
Mein heutiges Verbrechen besteht darin, dass ich
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