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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Hand folgte oder tatsächlich einer übersinnlichen Macht gehorchte, die sich soeben als Satan vorgestellt hatte.
    «Wann», fragte er, «werde ich sterben?»
    «Spinnst du?», fauchte jemand.
    «Das darf man nicht fragen!»
    «So ein Idiot …»
    Nino achtete nicht auf das Gemurmel am Tisch. Das Glas begann sich verschiedenen Buchstaben zu nähern, doch diesmal sprach keiner mit. Gebannt las er: H … E … U … T … E.
    Er blickte auf. Alle starrten ihn an. Julia hyperventilierte. Monsieur Samedis Augen lächelten trüb.
    Nino reckte sich und zog den Finger zurück. Es war also doch nur Betrug. Nun gut, so war seine letzte Hoffnung dahin. Und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu schmunzeln.
    «Vielen Dank, dass ich mitmachen durfte.» Mit einem Kloß im Hals nickte er Monsieur Samedi zu, der zum ersten Mal halbwegs überrascht aussah, und sagte zum Rest der Gruppe gewandt: «Ich würde Satan nicht nach den Lottozahlen fragen, falls jemand das vorhatte. Trotzdem viel Spaß noch.» Er klopfte Julia auf die Schulter, drehte sich um und ging aus dem Zimmer.
    Blicke folgten ihm. Philip zischte irgendwas, aber er reagierte nicht mehr darauf. Ja, es lag sogar eine gewisse Befriedigung darin, seine Meinung zu dem Ganzen so offen zu demonstrieren. Er drückte die Türklinke herunter – für eine irrwitzige Sekunde rechnete er damit, dass sie verschlossen sein würde, doch sie ließ sich problemlos öffnen. Als er die Tür hinter sich wieder schließen wollte, bemerkte er eine junge Frau, die ihm folgte.
    Er konnte sich nicht daran erinnern, sie schon vorher gesehen zu haben. Sie war komplett schwarz gekleidet und hatte ein Käppi so tief in die Stirn gezogen, dass man das Gesicht nur erahnen konnte. Am merkwürdigsten aber war, dass sie schwarze Lederhandschuhe trug. So wie der farblose Typ vorhin …
    Er wartete, bis sie aus dem Raum getreten war, ehe er die Tür schloss. Dunkelheit fiel über sie. Nino nahm sein Handy heraus und ließ das bläuliche Licht in den Flur strahlen.
    «Ich wollte auch nicht da drinnen bleiben», sagte er, nur um irgendwas zu sagen.
    Sie stand reglos da. Er ließ das Licht auf ihr Gesicht fallen – und erschrak vor etwas Namenlosem. Ein Schreck schien auch in ihren Augen aufzuglimmen. Stumm, fast entsetzt starrten sie sich an. Sie war keine Frau. Das war alles, was er wusste, und er wusste es: Sie war keine Frau.
    Natürlich auch kein Mann, sie war schlichtweg – kein Mensch?
    «Du siehst mich.» Ihre Stimme klang vertraut wie etwas, an das sein Gehör sich vor langer Zeit gewöhnt hatte. Diese Tatsache verwunderte ihn so sehr, dass er nicht gleich verstand, was sie eigentlich sagte.
    «Wie bitte?»
    «Wer bist du?», fragte sie, als sei nicht genug Zeit für Wiederholungen.
    «Nino, und du?»
    «Deinen ganzen Namen.»
    «Nino Sorokin.» Noch während er es aussprach, verfluchte er sich für seine Einfallslosigkeit. Normalerweise hätte er genau hier eine witzige Erwiderung gebracht, um einen Flirt einzufädeln. Aber er war gar nicht sicher, ob er mit ihr flirten wollte. «Wie heißt denn du?»
    Das Handydisplay erlosch. Sein Daumen musste erst wieder den Knopf finden, um Licht zu machen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er sie ganz nah vor sich zu haben, dann war der Gang leer. Irgendwo tropfte Wasser und klang wie davoneilende Schritte.
    Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Sie war weggelaufen. Ganz langsam formten sich die Worte in ihm: Wer – war – das? Stockend setzte er sich in Bewegung, ihr zu folgen. Die Musik wurde lauter. Schließlich bog er um die Ecke und sah wieder das Lichtgewitter der Tanzfläche. Erleichterung überkam ihn, wieder in einer normalen Umgebung zu sein, verhältnismäßig normal jedenfalls, und er steckte sein Handy ein. Obwohl er nichts getrunken hatte, fühlte er sich benommen.
    Sie war nicht unter den Tanzenden. Vielleicht war sie oben. Oder draußen. Eher draußen.
    Er schob sich durch das Gedränge Richtung Ausgang. Vor dem Plastikvorhang lag ein verschlungenes Paar auf dem Boden und wälzte sich über weggeworfene Plastikbecher. Wer wen zu vergewaltigen versuchte, ließ sich kaum mehr erkennen. Jedenfalls schienen beide, willentlich oder nicht, K.-o.-Tropfen genommen zu haben. Nino stieg über sie hinweg, dachte nicht länger über den Tod der beiden nach – ziemlich zeitgleich, womöglich gemeinsam? – und rannte beinahe die letzten Schritte bis nach draußen. Die Bulldogge des Türstehers kläffte. Dann empfing ihn die Ruhe

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