Norddeutschland, Morddeutschland - 3 Krimis von der Küste (German Edition)
Die Stimmung war ihm im Gesicht abzulesen. Er brauchte gar kein Wort zu sagen, es war auch so offensichtlich, dass er stinksauer war. Dem Moderator ging es nicht anders. „Also alles auf Anfang!“, knurrte dieser zwischen den Zähnen hindurch. Das Sunnyboy-Dauergrinsen, das ansonsten seine Züge zu prägen pflegte, war verschwunden.
„Haben Sie etwa nicht verstanden, was ich gesagt habe?
Wieso dreht Ihr Kollege denn gar nicht? Soll das nicht in die Sendung? Können Sie die Wahrheit nicht vertragen? Ist die zu hart für so ein Bürschchen wie Sie, das sich um seinen Job wahrscheinlich keine Sorgen zu machen braucht? Sie haben ja keine Ahnung, wie das ist, wenn man von einem Tag auf den anderen alles verliert und einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird!“ Wutschnaubend rang die Rothaarige um Luft, und ihr stechender Blick traf den Moderator.
„Hören Sie, ich glaube Ihnen gerne, dass Ihnen etwas Schlimmes passiert ist, aber …“
„Nein, da ist nicht irgendetwas Schlimmes passiert, das wie ein Unwetter gekommen ist und das niemand hätte verhindern können!“, schnitt sie ihm gleich wieder das Wort ab und ihre Gesichtsfarbe hatte sich längst der Farbe ihrer Haare angeglichen. „Da waren Kriminelle am Werk, und was geschieht? Wird irgendeiner von denen vielleicht vor Gericht gestellt? Die meisten dieser miesen Abzocker kommen doch so davon, ohne dass man sie zur Rechenschaft gezogen werden.“
„Gute Frau, es tut mir leid, wir machen hier nur eine ganz gewöhnliche Sendung für das Lokalfernsehen, nichts weiter.
Und jetzt lassen Sie mich bitte meinen Job machen, sonst bin ich den am Ende nämlich los!“
***
Gerlinde Grasmück strich sich über ihr rötliches Haar. Es fing leicht an zu nieseln. Sie hörte den Moderator vor sich hinschimpfen, denn als der Regen rasch stärker wurde, war klar, dass dieser Beitrag wohl im wahrsten Sinn des Wortes ins Wasser fallen würde.
Ist auch nicht schade drum, dachte sie, dieses leere Gewäsch, das der da zum Besten gibt. Der hat doch keine Ahnung! Mit verächtlicher Miene schaute sie auf das TV-Team und vergrub ihre zitternden Hände in den Jackentaschen.
Der Regen trieb den Pulk von Menschen ziemlich schnell auseinander. Das Fernsehteam verzog sich, und es dauerte nur ein paar Minuten, da stand Gerlinde Grasmück völlig allein vor den imposanten Leuchttürmen. Niemand kümmerte sich noch um sie. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, der Wind kam jetzt direkt von vorn, aber das schien sie nicht weiter zu kümmern. Ihr Puls raste, und selbst die Nässe, die ihr zunehmend die Haare am Kopf kleben ließ, konnte die namenlose Wut nicht abkühlen, von der sie erfüllt war. Wut auf skrupellose Geschäftsleute und Anlageberater. Wut auf gewissenlose Banker, die ohne mit der Wimper zu zucken, Milliarden vernichtet hatten. Milliarden Dollar oder Euro. Bei diesen Beträgen spielte es kaum noch eine Rolle, in welcher Währung man rechnete.
Unglücklicherweise hatte zu diesen Milliarden, die in der großen, geplatzten Spekulationsblase vernichtet worden waren, auch nahezu alles gehört, was Gerlinde Grasmück je besessen hatte. Ein kleines Vermögen, das sie von ihren Eltern geerbt hatte. Kein großer Betrag im Vergleich zu den Summen, um die bei diesem globalen Glücksspiel gezockt worden war – aber groß genug, um davon unter normalen Umständen ein sorgenfreies Leben führen zu können. Jetzt war Gerlinde Grasmück arm wie eine Kirchenmaus. Der Mann jedoch, der ihr das alles eingebrockt hatte, fuhr immer noch teure Autos, trug elegante Designeranzüge und führte große Reden darüber, wie man sein Geld anlegen sollte. Ein Urlaub auf Rügen gehörte noch zu den kleineren Annehmlichkeiten, die er sich leisten konnte.
Gerlinde ballte ihre Hände zu Fäusten. Ihr Gesicht wurde zu einer Maske des Hasses.
„Nein!“, schrie sie den Leuchttürmen entgegen, während die Farbe ihres Gesichts so dunkelrot wurde, dass man Sorge haben konnte, es würde gleich bersten. Das, was ihr widerfahren war, war nicht gerecht! Und sie hatte nicht vor, den Schuldigen so einfach davonkommen zu lassen! „Ich werde dich finden!“, murmelte sie vor sich hin. „Ganz gleich, wo du dich auch verkrochen haben magst – ich finde dich!“ Der Regen wurde stärker und wuchs zu einem regelrechten Wolkenbruch heran.
Die blaue Windjacke, deren Kragen Gerlinde hochgestellt hatte, war inzwischen völlig durchnässt. Sie spürte die Feuchtigkeit auf der Haut und zitterte. Vor Wut –
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