Notruf 112
ist das wohl auch kein Wunder. Und wieder zittert Frau Schmids Stimme ein bisschen empört in Anbetracht der unverzeihlichen Nachlässigkeit des Personals heutzutage.
»Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wissen nicht, wie Sie Ihren Heizkörper abdrehen sollen?«
»Genau. Ich bin schließlich schon 82 Jahre alt.«
Hab ich’s mir doch gedacht. Sie ist wohl ein bisschen durcheinander heute Nacht. Na schön. Überredet.
Es folgt also eine längere technische Telefonberatung. Und ich habe die liebe Frau Schmid im Verdacht, dass ihr unser Gespräch allmählich Spaß macht und sie sich absichtlich ein bisschen einfältig anstellt. Minuten später und unter dem Gelächter der Kollegen haben Frau Schmid und ich es dann geschafft, das glühende Objekt wie gewünscht auf null zu drehen. Um weiteren Dienstleistungswünschen zuvorzukommen, ist jetzt allerdings eine sanfte Belehrung fällig. Die Einsatzzentrale der Feuerwehr ist schließlich kein kostenloser Handwerkernotdienst – auch wenn früher übrigens alle Berufsfeuerwehrmänner einen Handwerksberuf erlernt haben mussten. Das war sogar eine Einstellungsvoraussetzung. Früher hatte man bei Einsätzen daher von jeder Sparte einen Kollegen dabei. Heute reichen auch alle anderen Berufsausbildungen. Und manchmal merkt man, dass das handwerkliche Geschick fehlt. Aber das ist ein ganz anderes Thema. Und Frau Schmid habe ich wohlweislich nichts von alledem verraten. Nicht dass die mir auf immer neue Ideen kommt.
»Also, Frau Schmid, dann ist ja jetzt alles in bester Ordnung und Sie können beruhigt zu Bett gehen, nicht wahr?«
»Vielen Dank, junger Mann. Sie haben mir sehr geholfen. Auf Wiederhören.«
Ich verkneife mir ein »Lieber nicht!«, sage stattdessen streng: »Gute Nacht!« und überlasse sie ihren Träumen.
Hunger
Bemerkenswert auch der Anruf dieser Frau, die ohne Umschweife im Morgengrauen sofort zum Punkt kommt.
»Mir ist so schlecht vor lauter Hunger. Und ich habe nichts zu essen daheim.«
»Na dann gehen Sie doch mal zum Bäcker. Der macht doch jetzt sicher gleich auf. Dort bekommen Sie bestimmt was Feines.«
Pause. Mir schwant schon Unheil. Was wird sie als Nächstes ausbrüten? Und dann überrascht sie mich.
»Das ist eine gute Idee«, sagt sie, bedankt sich höflich und legt auf!
Na so was. Das Leben kann so einfach sein …
Zeitansage
Das hier ist einer unser Klassiker.
»Zimmermann, guten Morgen! Können Sie mir sagen, wie spät es ist?«
Ich könnte schon, aber ich will eigentlich nicht.
»Herr Zimmermann, Sie wissen schon, dass Sie den Notruf der Feuerwehr und des Rettungsdienstes blockieren? Wir sind hier eigentlich nicht die Zeitansage.«
»Ich weiß«, sagt er zerknirscht, »aber ich finde meine Brille einfach nicht und bin schon ganz durcheinander und ich möchte doch pünktlich …«
Schon gut, schon gut.
»Es ist 5.57 Uhr. Ist Ihnen damit gedient?«
»Oh vielen Dank. Es soll auch nicht wieder vorkommen.«
Das glaube ich ihm sogar. Und weiß doch, dass damit das Problem nicht gelöst ist. Denn jeden Tag rufen zwei bis drei Bürger in der Integrierten Leitstelle der Münchner Berufsfeuerwehr an, um sich nach der Uhrzeit zu erkundigen. Macht 30 Zeitansagen in zehn Tagen, 300 in 100 Tagen oder ungefähr 1000 Zeitansagen pro Jahr. Wir sollten Geld dafür nehmen. Das würde eine schöne Summe für einen guten Zweck ergeben.
Herzensnöte
Eine gewisse professionelle Distanz ist eine der Grundlagen unserer Arbeit. Obwohl mir das Leid der Menschen natürlich nicht egal ist und niemals egal sein wird. Darum bin ich ja schließlich Feuerwehrmann und Rettungsassistent geworden. Die notwendige Distanz ist lediglich ein Selbstschutz, der uns alle davor bewahrt, die zuweilen wirklich dramatischen Unglücks- und Schicksalsgeschichten zu dicht an uns heranzulassen. Es ist auch nicht üblich, später nachzufragen, was aus unseren Patienten geworden ist. Ohnehin finden wir die Fortsetzung unserer interessanteren Einsätze am nächsten Tag in der Zeitung wieder – in Form von kleinen Meldungen, manchmal auch als größere Berichte und leider auch mal als Todesanzeige. Mit diesen Informationsquellen begnüge ich mich in der Regel.
Aber es gibt natürlich Ausnahmen. Fälle, die einem doch zu Herzen gehen. Die einem nachschleichen und die sich in die Erinnerung einbrennen. Solch ein Fall war der Herr Röse. Ein 60-jähriger Herzpatient mit implantiertem Defibrillator.
Während meiner Ausbildung zum Rettungsassistenten im Notarztwagen hatte
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