Notruf 112
kleine Wohnung war nahezu komplett bis unter die Decke angefüllt mit allen erdenklichen Formen von Müll. Durch die aufgetürmten Berge rechts und links führten nur noch schmale Pfade ins Bad und zu einer unsäglich verschmutzten Küchenzeile mit Spülbecken – der einzigen Wasserquelle. Irgendwann müssen die Haufen im Flur dann umgefallen und über ihr zusammengeschlagen sein. Sie begruben die Frau unter sich, die offenbar noch versucht hatte, sich in dem ganzen Unrat zur Haustür durchzuarbeiten, die sie aber aus eigener Kraft unter keinen Umständen mehr hätte öffnen können. Ihre einzige Chance wäre vielleicht gewesen, gehört zu werden. Doch auch das war ihr nicht mehr vergönnt gewesen. Und so hatten sie kurz vor dem rettenden Ausgang die Kräfte verlassen. Wahrscheinlich ist sie letztlich in dem Müllberg erstickt. Die genaue Todesursache ließ sich nicht mehr klären.
Die Stadt hat noch eine ganze Weile Angehörige gesucht, meines Wissens aber keine mehr gefunden. So fand die arme Seele dann auf Kosten der Stadtverwaltung ihre letzte Ruhe auf einem Münchner Friedhof. Solche traurigen Geschichten erleben wir leider immer wieder. Kein Mensch hat es verdient, so trostlos, so allein und unter derart unwürdigen Umständen zu leben und zu sterben. Ein Großstadtschicksal, wie es seit Jahren immer öfter zu erleben ist. Auch die Zahl der Wohnungsöffnungen steigt zunehmend. Das ist wohl der Preis der Anonymität.
Laterna magica
Ich liebe die Berge, verbringe fast jeden Urlaub mit meiner Familie dort. Egal, ob in Bayern, Österreich oder Südtirol – ich kenne die tollsten Routen und kann mir keinen schöneren Platz auf Erden vorstellen. Darum traf es mich auch wie ein Blitz, als mich in einer warmen Sommernacht kurz nach Mitternacht folgender Anruf einer jungen Frau erreichte.
»Die Feuerwehr. Der Rettungsdienst. Grüß Gott!«
»Sonnleitner. Grüß Gott. Ich sitze gerade daheim am Internet und wollte mir über die Live-Webcam eine Hütte im Stubaital anschauen. Wir wollten da morgen auf unserer Bergtour eigentlich einkehren. Aber das wird wohl nichts. Ich glaube, die Hütte brennt!«
Oh nein! Vor meinem inneren Auge erhob sich der berühmte Stubaier Gletscher. Eine wunderbare Kulisse für den Höhenweg, auf dem man durch die grandiose Tiroler Bergwelt von Hütte zu Hütte wandern kann. Die Anruferin nannte den Namen eines schönen alten Berghauses, das im Sommer bewirtschaftet wird und Wanderer auch über Nacht beherbergt.
Die Finger flogen über die Tasten. Na, mach schon, Internet. Binnen Sekunden waren auch wir mit der angegebenen Live-Webcam verbunden. Und tatsächlich! Kein Irrtum: Vor dem dunklen Berghimmel brannte die Hütte. Erste Maßnahme: Über die Kontaktdaten auf der Internetseite riefen wir sofort dort oben an, um wenigstens den Wirt und seine Gäste auf die Gefahr aufmerksam zu machen – falls nicht eh schon alle aus dem Haus gerannt waren. Der Ruf ging jedoch ins Leere. Niemand hob den Hörer ab.
Also riefen wir sofort in der zuständigen Landesleitstelle Tirol in Innsbruck an.
Der Kollege dort reagierte überrascht. Bislang lag ihm nämlich keine Brandmeldung vor. Komisch.
Auch er loggte sich nun in die Webcam ein. Ich sah ihn förmlich vom Sitz springen: »Ja, leck mi doch am Oasch!« Und ich musste unwillkürlich grinsen. Warum klingen bei den Österreichern selbst die Flüche noch charmant?
Der Innsbrucker Kollege alarmierte schnell die Feuerwehr und auch die in der Nähe gelegene Schutzhütte der Bergwacht, die in jener Nacht ebenfalls besetzt war. Binnen zwei Minuten hatten wir die gesamten Stubaier Bergrettungskräfte in Alarmzustand versetzt.
In den nächsten Minuten saß ich ziemlich angespannt vor dem Bildschirm, konnte meinen Blick nicht von der Webcam lösen und musste tatenlos mitansehen, wie das Berghaus immer weiterbrannte.
Bis der Rückruf der Tiroler kam. Und da entschlüpfte auch mir dann ein allerdings tiefbayerischer Fluch. Ebenfalls vor lauter Überraschung. In der Hütte war nämlich alles in bester Ordnung. Kein Brand, kein Rauch, nur nächtlicher Bergfriede und ein verschlafener Hüttenwirt, den die Bergwacht aus dem Tiefschlaf geholt hatte. Die Webcam hatte uns alle hereingelegt. Ein Einstellungsfehler an der Kamera hatte der Hütte einen Strahlenkranz verpasst, der täuschend echt wie eine Flammenwand aussah. Verdammte Technik.
Der Vollständigkeit halber rief ich noch Frau Sonnleitner zurück und teilte ihr mit, dass sie die Hütte wieder in ihr
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