Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
T-Shirt hängen blieben wie ihr bewundernder Blick an seinem Gesicht. Es wäre schrecklich, wenn ich an dieser letzten Hürde scheitern würde. Die Flucht nach vorn war alles, was mir noch blieb. Nun konnte mich niemand mehr aufhalten.
»Das heißt«, schnaubte die Strähnchenfrau missbilligend, »dass Sie zu Ihrem unendlichen Glück in der Business Class sitzen werden.«
»Business?«, wiederholte ich begriffsstutzig. Was für eine Überraschung! »Das ist bestimmt ein Wink des Schicksals.«
Sie sah mich misstrauisch an.
»Ein gutes Omen. Ich kann ein bisschen Glück gut gebrauchen.«
Als ich meine Gepäckstücke aufhob, schnaubte die Strähnchenfrau nochmals. »Sie können von Glück reden, dass Sie überhaupt noch mitdürfen. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Gate 58. Wird in zehn Minuten geschlossen.«
Das Mädchen am 1.-Klasse-Schalter spielte kokett mit ihrem goldenen Ohrring, während ihr Begleiter die Louis-Vuitton-Taschen schulterte. Ich versuchte, nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass ich vermutlich die Einzige war, die in diesem Flughafen allein war.
Der Stau hatte uns so viel Zeit gekostet, dass ich meinen Vater gebeten hatte, mich doch draußen abzusetzen.
»Ich gehe ja nicht für immer«, versicherte ich ihm ebenso wie mir selbst. Ich musste daran denken, als ich das letzte Mal am Londoner Flughafen war, traurig wegen Bels Abschied, erwartungsvoll, was Seb anging. Wie aufgeregt ich damals auf dem Parkplatz gewartet hatte. Seb, der seine Liebesbezeugungen aus Filmzitaten borgte. Der sich den Namen von John Malkovichs Rolle aus Gefährliche Liebschaften geliehen hatte, wie mir am Weihnachtsabend aufgefallen war. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich daran dachte, wie er mir geschworen hatte, jeden Zentimeter von mir abzulecken. Das war ein Zitat aus Rififi am Karfreitag. Ob er mir wohl damit sagen wollte, dass er ein Filmfan war?
Ich stampfte mit den Füßen auf, um die Kälte und die Erinnerung an Seb zu verscheuchen. Als ich darauf wartete, dass mein Vater den Kofferraum öffnete, wäre ich fast gegen den Lieferwagen des Blumenladens gelaufen, der neben uns einbog.
»In ein oder zwei Monaten, wenn der Prozess losgeht, bin ich wieder zurück.« Ich schlang meine Arme fest um meinen traurigen Vater. »Sobald das Datum bekannt gegeben wird.«
»Pass auf dich auf, Maggie.« Er küsste mich auf die Stirn. »Sei vernünftig, okay?«
»Dad, ich bin doch keine dreizehn mehr.«
»Für mich wirst du immer dreizehn sein, mein Liebes.«
Ich weigerte mich zu weinen. Ich würde nie wieder aufhören. Und so küsste ich ihn auf die Wange. Er roch nach Kindheit, und ich sog diesen Duft in mich auf, den ich jetzt eine ganze Weile nicht mehr verspüren würde. »Ich liebe dich, Dad«, murmelte ich in seinen Kragen. »Du hältst mich doch auf dem Laufenden, was Gar angeht, nicht wahr?«
»Natürlich. Jetzt lass mich mal.« Mit Schwung lud er den Koffer auf den Gepäckwagen. »Mach dir keine Sorgen um sie. Zumindest hat sie ihren Frieden gefunden.«
Das neue Jahr hatte frostig begonnen, was mich an die Winter meiner Kindertage erinnerte. Ich hasste den Januar von ganzem Herzen, die nackte, kalte Erde, die keine Hoffnung ließ, kein Fest, keine Farbe am Himmel. Der Wind, der über die Dachkanten strich, erinnerte mich an die Depression meiner Mutter, die in dieser düstersten Zeit des Jahres immer am schlimmsten war.
Ich hatte mich für eine Ausbildung zur Musiktherapeutin angemeldet. Mit dem Fernsehen hatte ich wirklich abgeschlossen. Und plötzlich war Gar ins Koma gefallen. Niemand konnte uns sagen, wie lange sie noch zu leben hatte. Ich hatte ihre weiche, gebrechliche Hand gehalten und sie beobachtet, als sie schlief. Ich stellte mir vor, sie träumte von meinem Großvater mit den lustigen Augen, von meiner Mutter und von ihrem Bruder Harry, mit dem sie über die Strände Cornwalls gelaufen, in Epphaven zum Muschelsammeln gegangen war und an der Daymer Bay Drachen hatte fliegen lassen. Von Pendarlin, wie es sich aus den Morgennebeln erhob, wie der Rauch sich aus dem Schornstein in den kornischen Himmel kräuselte wie auf dem Bild eines Kindes. Vielleicht träumte sie auch, dass sie Früchtekuchen buk und den Eischnee für die Zitronenmeringen schlug, die es sonntags zum Mittagessen gab. Damals hatte sie mich immer die Teigschüssel auslecken lassen.
Ich küsste Gars weiches Gesicht und weinte und weinte. Von ihr verabschiedete ich mich wohl für immer, denn sie war ein für alle Mal
Weitere Kostenlose Bücher