Nur der Tod sühnt deine Schuld
Hause sein sollen!
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S päter würde Haley die Tatsache vielleicht zu denken geben, dass sie weniger als zehn Stunden brauchte, um ihren Job zu kündigen, ihre Wohnung aufzulösen und in ein Flugzeug zu steigen, das sie in die Stadt ihrer Kindheit bringen sollte.
Später würde sie es vielleicht deprimierend finden, dass ihre zweiunddreißig Lebensjahre mühelos in zwei Kunstlederkoffer passten, ein Werbegeschenk von Harrah’s Casino. Im Moment jedoch ließ sie Gefühle gar nicht erst zu.
Die Benommenheit, die sie erfasst hatte, als sie vom Tod ihrer Schwester erfuhr, hatte während der endlosen Nachtstunden nicht nachgelassen und war auch jetzt noch da. Haley klammerte sich daran, denn sie wusste, wenn die Betäubung weg war, würde der Schmerz unerträglich sein.
Als der Flugkapitän den Landeanflug auf den Kansas City International Airport ankündigte, starrte Haley durchs Fenster auf die Patchwork-Felder unter ihr.
Nachdem die Cops am Abend gegangen waren, hatte sie Kontakt mit den Behörden in Kansas City aufgenommen und war schließlich mit Detective Owen Tolliver verbunden worden, dem Leiter der Ermittlungen im Mordfall Monica Ridge.
Er hatte am Telefon nicht mit Haley über die Tat sprechen wollen, ihr aber mitgeteilt, dass das Jugendamt Molly in einer Pflegefamilie untergebracht hatte, bis Verwandte ausfindig gemacht werden konnten.
Haley wickelte sich eine Strähne ihrer langen blonden Haare um den Finger und zog daran, während sie gegen die nackte Angst ankämpfte. Bisher war es ihr gelungen, ihre Trauer in Schach zu halten, aber die Panik erfasste sie immer wieder, versuchte, sich ihrer zu bemächtigen.
Was sollte sie machen? Was sollte sie mit Molly machen? Sie hatte das kleine Mädchen vor zwei Jahren zuletzt gesehen. Im besten Fall war sie eine weit entfernt lebende Tante für die Kleine. Ein Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk per Post. Ein Telefonanruf.
Nach Monicas Überzeugung war Haley nicht einmal in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Wie sollte sie da eine Hilfe für Molly sein? Woher sollte sie wissen, was das Beste war für ein kleines Mädchen, dessen Mutter gerade ermordet worden war?
Das Flugzeug landete, und ein paar Minuten später stand Haley am Gepäckkarussell und wartete darauf, dass ihre wenigen Besitztümer auf das Förderband gespuckt wurden.
Die Erschöpfung drückte sie nieder. Sie war todmüde. An Schlaf war in der vergangenen Nacht nicht zu denken gewesen. Sie hatte ihren Chef in der Lounge angerufen, in der sie als Barkeeperin arbeitete, und gekündigt; sie hatte gepackt und ihrem Vermieter mitgeteilt, dass sie auszog.
Das Apartment zu kündigen war kein Problem gewesen. Haley mietete ihre Wohnungen immer nur monatsweise, da sie nie wusste, wann das Fernweh wieder zuschlug, wann sie das nächste Mal den Drang verspürte, ihre Sachen zu packen.
Letzte Nacht hatte sie sich aus Angst vor den düsteren Pfaden, die ihre Gedanken einschlagen könnten, keine Sekunde des Grübelns erlaubt. Sie hoffte nur, dass Detective Owen Tolliver ihr mehr sagen, ihr die Frage nach dem Warum beantworten könnte.
Um kurz vor elf parkte Haley ihren Mietwagen auf dem Parkplatz des Polizeireviers von Pleasant Hill. Detective Tolliver hatte zugesagt, sofort nach ihrer Ankunft zu einem Gespräch zur Verfügung zu stehen.
Dies war nicht Haleys erster Besuch im Polizeirevier von Pleasant Hill. Als Vierzehnjährige war sie gemeinsam mit einigen Freundinnen zu Gast in dem Backsteingebäude gewesen, nachdem man sie beim Ladendiebstahl erwischt hatte. Es gab Dinge, an die Haley sich lieber erinnerte.
Die Eltern der anderen Mädchen waren innerhalb von dreißig Minuten eingetroffen, um die Freilassung ihrer Töchter zu arrangieren. Haley hatte drei Stunden gewartet, drei qualvolle Stunden, in denen sie alles andere als sicher gewesen war, dass ihre Mutter kommen und sie abholen würde.
Im Gebäude roch es noch genauso wie damals, eine Mischung aus angebranntem Kaffee, säuerlichen Körperausdünstungen und Fast Food. »Ich möchte zu Detective Tolliver«, sagte sie zu dem Polizisten hinter dem Counter, der die Schreibtische der aufnehmenden Beamten vom Wartebereich trennte. »Mein Name ist Haley Lambert.«
»Ich sehe nach, ob er zu sprechen ist«, antwortete der Cop. »Nehmen Sie bitte solange Platz.« Er zeigte auf eine Reihe Plastikstühle an der Wand.
Haley setzte sich und hob wieder die Hand, um an einer Strähne ihres schulterlangen Haars zu ziehen. In ein paar Minuten
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