Nur der Tod sühnt deine Schuld
Ausdruck in seinen Augen jagte Haley einen kalten Schauer über den Rücken.
»Ja, das bin ich.«
»Ms. Lambert, ich bin Officer Sinclair, und das ist mein Partner Officer Banks. Dürfen wir reinkommen?« Der Ältere hatte jetzt das Wort ergriffen, und in seinem Blick lag derselbe Ausdruck wie in dem seines Partners: tiefes Mitleid und das Unbehagen desjenigen, der schlechte Nachrichten zu überbringen hat.
Haley hätte den beiden am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen, ihnen den Zutritt zu ihrer Wohnung verwehrt. Sie hatte den verrückten Gedanken, wenn sie die Cops nicht einließ, war auch nichts Schlimmes passiert.
Aber natürlich schlug sie die Tür nicht zu. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, als sie die Beamten hereinbat. »Bitte, sagen Sie mir, was passiert ist. Warum sind Sie hier?«
Officer Sinclair legte die Stirn in Falten. »Gibt es einen Mr.Lambert? Oder vielleicht eine Nachbarin oder Freundin, die Ihnen beistehen könnte?«
Da begriff Haley, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt wie in diesem Moment, als ihr klarwurde, dass es keine Nachbarin und keine Freundin gab, die ihr jetzt helfen konnten.
Sie schüttelte den Kopf. »Sagen Sie mir einfach, warum Sie hier sind.«
»Sind Sie die nächste Verwandte von Monica Ridge?«, fragte Officer Banks.
O Gott, nicht Monica. Warum sollten zwei Cops sie in ihrer Wohnung in Las Vegas aufsuchen, um mit ihr über eine Frau zu sprechen, die in einem Vorort von Kansas City, Missouri, lebte?
»Monica ist meine Schwester. Ist ihr was passiert? Hatte sie einen Unfall? Geht es ihr gut? Liegt sie im Krankenhaus?« Die Fragen sprudelten nur so aus Haley heraus, während sich ihr Magen vor Angst zusammenzog.
»Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Schwester ermordet worden ist«, sagte Officer Sinclair mit sanfter Stimme.
Die Worte trafen Haley wie ein Faustschlag. Sie bekam keine Luft mehr, taumelte rückwärts und sank aufs Sofa.
Tot? Monica? Ermordet? Das konnte nicht sein. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. In Haley wehrte sich alles gegen den Gedanken, dass ihre Schwester tot sein könnte.
Sie fühlte sich wie betäubt. Sie hatte sich noch nie so benommen gefühlt, noch nie war ihr so kalt gewesen. Monica war tot? Wie konnte das sein? Von den beiden Schwestern war Monica doch immer diejenige gewesen, die kein Risiko einging, die alles richtig machte.
Officer Banks setzte sich neben Haley. In seinem rundlichen Kindergesicht mit den blauen Augen lag tiefes Mitgefühl. Er ergriff ihre Hand, und sie ließ die Berührung zu, obwohl die Wärme seiner Finger sie nicht zu beruhigen vermochte. »Ihre Schwester ist heute Vormittag in ihrem Haus von einem Einbrecher ermordet worden.«
Haley starrte den Polizeibeamten an. Die Worte hatte sie vernommen, aber sie ergaben keinen Sinn. Das war unmöglich. Ermordet wurden Fremde, über die man in der Zeitung las. Menschen, die sie kannte, wurden nicht ermordet, schon gar nicht Menschen wie Monica.
Haley versuchte, sich einen Reim auf das alles zu machen. Jemand war in Monicas Haus eingedrungen und hatte sie getötet? Herrgott, wie konnte das passieren? Wie zum Teufel konnte so etwas passieren? »Wissen Sie schon, wer es getan hat? Hat man schon jemanden verhaftet?«
»Darüber liegen uns keinerlei Informationen vor«, sagte Officer Sinclair.
»Was ist mit Molly?« Beim Gedanken an ihre Nichte ließ Haley die Hand von Officer Banks los und sprang vom Sofa auf. Das kleine Mädchen war an einem Freitagmorgen Anfang Mai doch sicher in der Schule gewesen.
»Uns liegen nur die Informationen vor, die wir Ihnen bereits mitgeteilt haben«, erwiderte Officer Sinclair. »Sollen wir nicht doch jemanden benachrichtigen, der Ihnen beistehen könnte?«
»Nein.« Haley ließ den Blick durch ihr kleines Apartment schweifen, über die billigen, staubigen Möbel, als könnte sie dort die Antworten auf ihre Fragen finden.
Monica war tot. Wo war Molly? Monica war tot. Monica war tot. Haley konzentrierte sich wieder auf die beiden Polizeibeamten. »Ich muss weg. Ich muss nach Kansas City.« Sie musste in Erfahrung bringen, was genau passiert war.
Die Trauer konnte warten. Dafür war später noch Zeit. Jetzt war da ein achtjähriges Mädchen, das gerade seine Mutter verloren hatte und dessen einzige Verwandte ihre Tante Haley war.
Sie hätte nicht zu Hause sein sollen!
Warum war sie da gewesen?
Was hatte sie gesehen?
Was hatte Molly gesehen?
Sie hätte nicht zu
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