Nur die Küsse zählen
viel Sie ihr bedeuten.“
„Nein, das tut sie nicht.“ Schniefend entzog Aurelias Mutter ihm ihre Hand und funkelte die beiden wütend an. „Wenn ich ihr wirklich viel bedeuten würde, käme sie mich öfter besuchen.“
„Sie hat mit der Show und ihrem Job alle Hände voll zu tun.“
Aurelia trat zwischen die beiden. Sie wusste, wohin das Gespräch führen würde. Und obwohl sie Stephens Einsatz zu schätzen wusste, spürte sie, dass es an der Zeit war, für sich selbst einzustehen.
„Stephen, magst du uns eine Minute allein lassen?“
Er nickte nur und entfernte sich.
Aurelia führte ihre Mutter zu einer nahe stehenden Bank. Bevor sie aber etwas sagen konnte, setzte ihre Mutter an.
„Ich kann nicht glauben, wie jung er ist! Ich hatte ja gehofft, sie würden übertreiben, aber jetzt, wo ich ihn persönlich sehe … Offensichtlich haben sie nicht übertrieben. Das ist beschämend. Weißt du, was meine Freunde sagen? Die Leute bei der Arbeit? Interessiere ich dich gar nicht?“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Du bist immer schon egoistisch gewesen,Aurelia. Und da wir gerade dabei sind, wo bleibt mein Scheck für diesen Monat?“
Aurelia schaute die Frau an, die sie großgezogen hatte. Es hatte immer nur sie beide gegeben, und lange Zeit war das genug gewesen. Sie war in dem Glauben aufgewachsen, dass die Familie über allem stand und es in ihrer Verantwortung lag, sich um ihre Mutter zu kümmern. Sie hatte sich immer gesagt, dass die Bitterkeit ihrer Mutter erklärbar, wenn auch nicht entschuldbar war. Doch jetzt, da sie darüber nachdachte, verstand sie eigentlich nicht, warum ihre Mutter immer so wütend war.
Stephen fand Finns Einmischungen nicht gut, sah sie jedoch nur als kleines Ärgernis an. Aurelia hatte einen anderen Blick auf die Dinge. Denn Finn hatte sein Leben sozusagen auf Eis gelegt, weil er sich um seine Brüder sorgte. Er tat das nicht für sich. Alles, was er machte, war für sie. So etwas hatte sie bei ihrer Mutter noch nie erlebt.
In ihrer Familie kam ihre Mutter an erster Stelle. Ihre Mutter war die Wichtige. Irgendwie hatte Aurelia die Manipulation zugelassen. Ein Teil der Schuld lag bei ihrer Mutter, aber einen Teil musste sie auch bei sich suchen. Sie war fast dreißig Jahre alt. Es war an der Zeit, die Regeln zu ändern.
„Mom, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich ermutigt hast, in der Show mitzumachen. Und du hattest recht – ich habe mich nicht bemüht, die nächste Stufe meines Lebens zu erreichen. Ich will heiraten und Kinder kriegen, doch stattdessen verstecke ich mich hinter meiner Arbeit und verbringe meine gesamte Freizeit mit dir.“
„In letzter Zeit nicht“, konterte ihre Mutter angesäuert.
„Es tut mir leid, dass du das Gefühl hast, ich schenke dir nicht genügend Aufmerksamkeit. Durch die Zeit hier bei der Show ist mir aber einiges klar geworden: Ich bin deine Tochter und werde dich immer lieben, aber ich muss endlich mein eigenes Leben führen.“
„Ich verstehe“, sagte ihre Mutter eisig. „Lass mich raten. Ich bin nicht länger wichtig.“
„Du bist sehr wichtig. Es ist keine Entweder-oder-Situation.Ich denke, ich kann mein Leben führen und dir trotzdem weiter nahe sein.“ Aurelia atmete tief durch. Jetzt kam der schwere Teil. Sie hatte einen Knoten im Magen; es war ein dicker Klumpen aus Angst und Schuld.
„Du hast einen sehr guten Job“, fuhr sie langsam fort. „Das Haus ist abbezahlt, genau wie dein Auto.“ Das wusste sie sehr gut, denn sie hatte beide Darlehen abgestottert. „Wenn es einen Notfall gibt, werde ich dir immer helfen. Aber ansonsten musst du dich jetzt selber um deine Rechnungen kümmern.“
Ihre Mutter sprang auf und funkelte sie böse an. „Aurelia, so habe ich dich nicht erzogen! Ich bin die einzige Mutter, die du je haben wirst. Wenn ich erst mal tot bin, wird dich deine Selbstsucht bis ans Ende deiner Tage verfolgen.“
Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging. Aurelia schaute ihr hinterher. Sie wusste, ihre Mutter erwartete, dass sie aufsprang und ihr hinterherlief. Doch das konnte sie nicht. Ihre Beziehung war immer schwierig und verdreht gewesen. Wenn sie daran etwas ändern wollte, müsste sie stark bleiben.
Stephen kam zu ihr und legte ihr einen Arm um die Schultern. „Wie fühlst du dich?“
„Mir ist übel.“ Sie presste sich die Hand auf den Bauch. „Wir sind noch nicht fertig. Sie wird das nicht auf sich beruhen lassen. Aber ich habe das Gefühl, einen wichtigen ersten
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