Nur ein Blick von dir
Alptraum deswegen. Sie lag erschossen in einer Blutlache auf der Straße. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchhalte, diese ständige Angst.«
»Hast du ihr das gesagt?«, fragte Yvonne.
»Sie hat mich nach dem Alptraum getröstet, da haben wir darüber gesprochen, aber sie sagt, sie ist seit fünfzehn Jahren bei der Polizei, und es gehört eben zu ihrem Beruf.«
»Zu ihrem, aber nicht zu deinem«, sagte Yvonne.
Silke atmete tief durch. »Ich liebe sie so, Yvonne. Ich kann nicht ohne sie leben.«
»Das habe ich gesehen«, bemerkte Yvonne erstaunlich verständnisvoll. »Du warst nur ein Schatten deiner selbst, wenn sie nicht da war. Und schwebtest im siebten Himmel, wenn sie es war. Ich verstehe das zwar nicht, aber ich sehe, dass sie dich glücklich macht, wenn ihr zusammen seid.«
»Ja.« Silke seufzte. »Sehr glücklich. Unglaublich glücklich. Sie ist alles, was ich mir immer gewünscht habe. Fürsorglich, liebevoll, sexy . . .« Sie kicherte.
»Das glaube ich ja«, sagte Yvonne. »Aber wenn ich wüsste, dass Klaus jeden Tag erschossen werden könnte, hätte ich damit auch so meine Probleme.«
Silke kam aus ihren Phantasien wieder auf die Erde zurück. »Sie sagt, es ist kein Problem. Wir sollen uns nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren.«
»Diese Ansicht vertreten viele Leute, und meistens stimme ich dem zu«, sagte Yvonne, »aber da geht es normalerweise auch nicht um Leben und Tod.«
Silke schloss die Augen. Das Wort Tod brachte die Bilder wieder zurück. »Ja«, flüsterte sie. »Ich weiß.«
»Sie lebt mit dieser Angst schon so lange, dass sie sich daran gewöhnt hat«, gab Yvonne zu bedenken. »Vielleicht empfindet sie Angst sogar als stimulierend. Deshalb hat sie diesen Beruf gewählt. Aber du hattest noch nie solche Bedürfnisse. Du willst ein normales, bürgerliches Leben. Oder liege ich da falsch?«
Silke seufzte tief auf. »Nein, tust du nicht.« Sie sah zur Tür. Eben war sie geöffnet worden, und Silke hatte das Gefühl, ein Mannschaftswagen voller Kunden strömte herein. »Ich muss Schluss machen«, sagte sie. »Die Kunden kommen heute dutzendweise.«
Yvonne lachte. »Na, dann viel Spaß. Bin ich froh, dass ich noch krankgeschrieben bin.«
Für die nächsten Stunden konnte Silke keinen Gedanken mehr an andere Dinge als die Arbeit verschwenden. Demnächst waren Ferien, und alle möglichen Leute wollten für ein paar Tage in Urlaub fahren und brauchten Auslandskrankenscheine und Reiseversicherungen für Gepäck, Hund, Kind und Kegel.
Als Silke endlich nach Hause gehen konnte, war es schon viel später, als sie gedacht hatte. Sie rief Marina auf ihrem Handy an, aber sie nahm nicht ab. Daraufhin versuchte Silke die Nummer im Präsidium. Dort klingelte es eine Weile, dann wurde sie anscheinend an eine andere Nummer weitergeleitet. Die Stimme, die sich meldete, war nicht Marinas.
»Sie ist im Moment nicht an ihrem Platz«, erhielt Silke Auskunft. »Wahrscheinlich ist sie unterwegs.«
»Wissen Sie, wo?«, fragte Silke. Ihr Herz schlug schon wieder bis zum Hals.
»Das kann ich nicht sagen, da müssen Sie sie selbst fragen«, erwiderte der Mann. Seine Stimme klang jung. »Wir geben solche Auskünfte nicht am Telefon.«
»Ist sie im Einsatz?«, fragte Silke aufgeschreckt. Die Angst kroch in ihr hoch.
»Einen Moment.« Sie hörte es rascheln. So ein ähnliches Geräusch wie damals, als sie mit Marina telefoniert hatte, bevor sie verschwand. »Hier ist ein Anruf für dich«, rief der junge Mann etwas entfernt vom Hörer. »Da sucht dich jemand.«
Im nächsten Moment raschelte es erneut, und Marinas Stimme meldete sich. »Ja?«
»Marina.« Silke fiel ein Stein vom Herzen.
»Ach, du.« Marinas Stimme lächelte. »Ich bin schon fast auf dem Weg zu dir.«
»Ich konnte dich auf dem Handy nicht erreichen«, sagte Silke.
»Oh, ja.« Marina stutzte. »Ich glaube, das müsste ich mal wieder laden. Hab ich wohl vergessen.«
»Ich habe mir furchtbare Sorgen gemacht.«
»Weil ich nicht ans Handy gegangen bin?« Marina lachte leicht. »Ich war in einer Einsatzbesprechung, da hätte ich es sowieso ausgemacht.«
»Einsatzbesprechung?« Erneut raste Silkes Herz los. »Du hast einen neuen Einsatz?«
»Nur eine Verhaftung, nichts Besonderes«, sagte Marina. »Aber erst morgen früh. Vorher kann ich mich bei dir noch ausschlafen.« Sie machte eine kleine Pause. »Oder auch nicht.«
»Oh, Marina, ich halte das nicht aus«, flüsterte Silke.
»Ich bin ja gleich da.« Marinas Stimme klang
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